Kommentare 8
/ Autor:

Immunreaktionen

»Die Fans machen sich natürlich Sorgen, dafür habe ich absolut Verständnis.
[E]s es ist logisch, dass dann Unmut aufkommt. «

Thomas Eichin

»Spread your love like a fever and don’t you ever come down.«
BRMC

– Draft-Version // Round-Up: Trainerwochen

In einem Befund sind sich derzeit eigentlich alle Beobachter einig: In und um Bremen rumort es. Mehr als sonst, jedenfalls. Auch hier, in diesem Blog, haben wir uns mit der neuerlichen Diskussion um unseren Cheftrainer und der mit dieser Diskussion einhergehenden Unruhe auseinandergesetzt: einmal in Form einer kurzen Bestandsaufnahme des jüngsten Netzdiskurses (»Mit Augenmaß«), anschließend mit einer Übersicht aller Trainerwechsel anderer (Bundesliga-) Vereine seit dem 10. Mai 1999, jenem Tag also, an dem Thomas Schaaf seinen aktuellen Posten übernahm (»Die Trainer der Anderen«). Die Aufstellung ist übrigens in keiner Weise normativ gemeint, dafür aber umso mehr geeignet, einmal kurz innezuhalten und zu überlegen, wie ungewöhnlich und irgendwie auch wertvoll diese 14-jährige Zusammenarbeit wirklich ist.

Vier gewinnt

tore

Abb.1: Ein Tor.

In unserem ersten Artikel, »Mit Augenmaß«, verwiesen wir auf einen Kommentar Arnd Zeiglers im Weserkurier sowie auf Tobias Singers Kritik an Arnds Text. Soweit so gut. Es kam, wie es kommen musste – so oder ähnlich dürfte es gewesen sein: Der Weserkurier berichtete über die aktuelle Episode des Grünweiß-Podcasts, in dem auch beide Texte Diskussionsthema gewesen sind. Vielleicht liest Arnd auch einfach die relevanten Werder-Blogs, keine Ahnung. Jedenfalls kommentierte er (so sicher man das unter Bedingungen von Internetkommunikation und noch dazu von außen überhaupt sagen kann) ebenso aufgebracht wie ausführlich Tobias‘ Artikel – ein Vorgang, der in vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist.

»Fragen über Fragen. Ich habe mir ein Urteil gebildet. Zu dem stehe ich und das vertrete ich. Wer mich für verblendet oder zu dumm hält mag das bitte gerne tun. Damit kann ich leben. Im Moment bekomme ich für Artikel wie den von Dir zitierten sehr viel Beifall von der für mich richtigen Seite. Wenn das irgendwann mal nicht mehr so ist, mache ich mir ernsthafte Gedanken.« (Arnd Zeigler, Quelle)

Wir empfehlen die vollständige Lektüre des Zeigler’schen Kommentars und möchten der Form nach vier kurze Punkte anmerken.

Erstens: Es handelt sich hierbei um akute Krisenkommunikation – in ihrer reinsten Form. Die Tatsache, dass Artikel wie der von Tobias solche Wellen schlagen können, verweist auf ein hochsensibles, geradezu zitterndes Kommunikationsnetzwerk. Das ist typisch für Krisen: Sie tauchen auf, wenn soziale Systeme mit Ereignissen konfrontiert sind, für deren Verarbeitung sie keine etablierten Routinen haben – nach sieben mehr oder weniger fetten Jahren an der Weser ist das Mittelmaß (und die daraus direkt resultierende Finanzlage) der letzten Spielzeiten genau so ein unerwartetes und damit kritisches Ereignis.

Zweitens: Die nervöse Form der Kommunikation hat, wie im letzten Artikel angedeutet, eine durchaus wertvolle Funktion: Sie arbeitet wie ein Immunsystem, das nicht die exakte Struktur eines Systems schützt, sondern dessen Selbstreproduktion. Alles steht zur Diskussion, aber die Diskussion selbst gewährleistet, dass Kommunikation am Laufen bleibt. Anschließend steht die Lösung als Reaktion auf eine Krise immer auch selbst wieder zur Disposition. Man kann so erkennen, dass (vermeintlich) stabile Zustände immer Reaktion auf bereits vergangene Krisen sind – evolution at its best, sozusagen.

Drittens: Bei aller Funktionalität verweist Arnds Kommentar auf zweifache Weise auf einen (für mich) besonders wichtigen Punkt: Verantwortung. Gerade unter Bedingungen internetgestützter Kommunikation ist eine Meinung schnell mal ins in den Äther geschickt. Wir alle tragen die Verantwortung für unsere Worte, Taten und Kausalitäten. Verschwörungstheorien und/oder simplifizierende Schuldzuweisungen sind für einen verantwortungsvollen Umgang in der Regel wenig hilfreich. Was zu Punkt vier führt, den ich aus unserem letzten Artikel kopieren möchte, weil er immer noch sehr gut passt:

Viertens: »Entscheidend ist, Augenmaß zu wahren und auf Anmaßung und Arroganz gegenüber verdienten Vertretern des Vereins zu verzichten. Es muss eine angemessene Reaktion gefunden werden, ein goldener Mittelweg zwischen irritationsresistenter Selbstgewissheit und nervösem Übersprungverhalten. […] Ein erster vernünftiger Schritt für alle Sympathisanten des SV Werder Bremen sollte sein, nicht in die derzeitige Kakophonie skandalisierender Zaungäste, selbsternannter Spezialisten und lo­gor­rho­ischer Ex-Profis einzustimmen.«
Ohne gleich wieder Alle über einen Kamm scheren zu wollen: Ob in unseren Blogs, auf den Rängen, in Internetforen oder auch vor den Mikrofonen der (Bremer) Presse, wir alle täten gut daran, uns im Zweifelsfall mit bloßen Meinungen zunächst zurückzuhalten. Die Welt ist ohnehin voll davon.

Walk on.

netz

Abb.2: Noch ein Tor.

Es ist gut, dass kommuniziert wird und so Kommunikation in Gang bleibt. Letztlich ist das, gewisse Mindeststandards vorausgesetzt, auch gut für den Verein und sein Umfeld. Resignation wäre viel schlimmer. Im konkreten Fall haben beide Diskutanten ihre Kausalitäten auf den Anderen projiziert – unnötig zu sagen, dass Arnd Zeigler kein korrumpierter Lakai eines wie-auch-immer-gearteten grün-weißen »Inner Circles« ist. Es steht für mich außer Frage, dass er sich ein eigenes Urteil über seinen Verein bilden kann und seine Meinung entsprechend vertritt. Und wenn Tobias Singer mit dem latent zeternd-wutheulendem Mob assoziiert wird, trifft diese Assoziation auch ganz sicher den Falschen. Wer seine Texte liest und den Ausführungen im Rahmen des Podcasts lauscht, weiß, dass er große Achtung vor der Person und Arbeit Thomas Schaafs hat und für Kurzschlüsse wenig anfällig ist. Entsprechend wertschätzend äußert er sich auch im Kommentar:

»Du wirst auf dieser Seite keinen einzigen Text finden, der einen Rauswurf von Schaaf fordert. Ich war lange Zeit lang großer Fan des Trainers Thomas Schaaf und menschlich gibt es für mich ohnehin keinen Grund zur Diskussion. Seit ungefähr einem Jahr halte ich Schaaf nicht mehr für den richtigen Trainer, aber das heißt nicht, dass ich meine Meinung deshalb für wichtiger halte, als die der von dir angesprochenen Personen. Mich stört, dass jede noch so sachliche Kritik am Trainer auf eine Stufemit dumpfen Parolen gestellt wird.« (Quelle)

Wenn wir alle uns die (eigentlich selbstverständlichen) Punkte zu Herzen nehmen, können wir unterm Strich wohl zuversichtlich sein: Weil in Bremen Krisenkommunikation wie diese möglich ist, zwischen Blogs und Vereinsvertretern (im weiteren Sinne, jedenfalls). Und weil wir uns dabei ziemlich sicher sein können, dass alle Beteiligten das Beste im Sinn haben. Für unseren Verein. Über Details kann man streiten – und genau das passiert ja auch…
In diesem Sinne: Lebenslang grün-weiß!

Abbildungen: Habeebee und Jaypeg bei Flickr, cc-Lizenz.

8 Kommentare

  1. Ich kann/will jetzt nichts zur Diskussion beitragen. Meine Meinung deckt sich ganz gut mit dem zitierten Abschnitt von Tobias Singer.
    Aber ich wollte mich bedanken. Für diesen Artikel, und einige weitere im Blog, die versuchen, sachlich, aber durchaus auch kontrovers zu diskutieren.
    Danke!

    • Lieber Sascha, vielen Dank für Deinen Kommentar. Es freut mich sehr, weil es uns gerade darum ging: quasi unabhängig von persönlichen Ansichten zur Trainerfrage (die wir daher auch komplett auslassen) die Meta-Ebene der aktuellen Diskussion in den Blick zu nehmen. Wenn’s funktioniert hat, umso besser.

  2. Pingback: Die Blog- & Presseschau für Montag, den 25.3.13 | Fokus Fussball

  3. „Weil in Bremen Krisenkommunikation wie diese möglich ist, zwischen Blogs und Vereinsvertretern (im weiteren Sinne, jedenfalls).“

    Hmm, ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich eine Kommunikation ist. Ich glaube, dass Zeigler im Leben nicht auf Tobis Blogartikel reagiert hätte, wenn er sich nicht persönlich angegriffen gefühlt hätte. Was ja auch deutlich wird, wenn er Tobi in das Lager der schreienden Fans stellen will. Das zeigt ja auch, dass er über den Artikel hinaus sich gar nicht mit Tobis Position beschäftigt hat.

    Es ist zwar bemerkenswert, dass er sich so äußert, aber nach zigmaligem Lesen seines Kommentars sehe ich auch keine wirklichen Argumente, die diese Diskussion voranbringen bzw. die auch die Arbeit von Schaaf in nachvollziehbarer Weise stützen.

    Und eins muss man sich ja auch klar machen wenn man von Augenmaß, den Bremer Werten und so weiter redet: mir will hierzulande kein Verein einfallen, wo es so lange so ruhig geblieben wäre. Nehmen wir mal Mannschaften, die einfach froh sind, in Liga eins zu kicken, aus der Betrachtung raus, ist es doch auch aktuell sehr ruhig. Ja, es gibt Diskussionen, aber ich war ja beim Spiel gegen Fürth und außer den Pfiffen in der Halbzeit und nach Abpfiff gab es ja kaum Unmutsbekundungen. Das eine Plakat will ich jetzt mal nicht als Meinungsäußerung der breiten Masse sehen. ;) Und das die Geduld der Fans auch mal ein Ende hat ist doch auch verständlich.

    • Lieber Stephen,

      ich befürchte, dass ich Dir in vollstem Unfang zustimmen muss und dass bei meiner euphorischen Prognose wohl eher der Wunsch Vater des Gedankens gewesen ist. Noch versuche ich die restliche Hoffnung auf einen beispielhaft konstruktiven Dialog zwischen Fans unterschiedlicher Meinung darauf zu richten, dass Arnd Zeigler als Nicht-Web2.0-Nutzer bei solchen Kommentarspalten-Diskussionen einen anderen Rhythmus verfolgt als Du und ich. Allerdings schwindet diese Hoffnung mit jedem Tag, an dem eine (konstruktive) Antwort Arnds auf sich warten lässt. Was dann bleibt, hat für mich eher Ventil-Charakter… schade, weil’s eine verpasste Chance wäre.

  4. Pingback: Trainerwochen | Hamburg ist grün-weiß

  5. Noch mal ein Nachtrag zu der ganzen Geschichte: Je mehr ich von Arnd Zeigler zu dem Thema lese (Beispiel: https://www.facebook.com/go.bang.75?hc_location=stream), desto mehr sinkt mein Respekt für ihn (und ich hätte mich vor noch gar nicht so langer Zeit noch als Fan von ihm bezeichnet). Da kann jemand überhaupt nicht mit Kritik umgehen, schießt im Gegenzug aber auf alles und jeden, der eine andere Meinung hat. Gegenargumente biegt er sich so zurecht, wie sie ihm gerade passen und in jeder Zeile schwingt eine unglaubliche Arroganz mit. Seine Meinung ist die richtige, weil er seit 1387 Werderfan ist und weil er so nah dran ist. Dabei sieht er sich selbst als Opfer, obwohl er pauschal einen großen Teil der Werderfans zu ahnungslosen Dauernörglern degradiert. Dazu werden ständig irgendwelche Experten zitiert, die seine Thesen anstelle von Argumenten stützen sollen.

    Ich habe in meiner Antwort im Kommentar versucht, einigermaßen auf seine Kritik einzugehen und einen Dialog zu starten. Dazu ist es nicht gekommen. Wenn ich mir Zeiglers Aussagen in anderen Diskussionen zu Gemüte führe, kann ich nur sagen: zum Glück! Dabei wäre nichts, aber auch wirklich gar nichts rumgekommen, außer vielleicht wüste Beschimpfungen.

    • Ja, das kann ich nachvollziehen. Mir fehlt gerade die Muße, das alles nachzulesen. Ich fand’s aber auch bezeichnend, dass sich Herr Zeigler nicht noch einmal meldete. Ich habe Deine Replik auch als Dialog-Offerte wahrgenommen und auf einen solchen gehofft.

Schreibe eine Antwort