Kommentare 18
/ Autor:

Regelkunde? (@CollinasErben)

»Das war keine gelb-rote Karte.« – Marko Arnautovic (Quelle: werder.de)

Kurz notiert: es gab sicherlich eine Menge potentieller Aufreger im gestrigen Nordderby gegen Hamburg. Es gab zwei irreguläre Tore gegen Werder (deren Irregularität man unter dem kontinuierlich zivilisierenden Einfluss des großartigen Schiedrichter-Podcasts »Collinas Erben« und mit etwas Wohlwollen als »Zeitlupenwissen« bezeichnen kann). Den Tiefpunkt der Leistung des Schiedsrichtergespanns um Thorsten Kinhöfer stellen allerdings zwei gelb-rote Karten dar, eine gegen den Kapitän Clemens Fritz, die zweite kurz vor Ende des Spiels gegen Marko Arnautovic. Hier geht es uns nur um letztere, weil sie regelkundig zumindest verwunderlich ist.

Abb. 1: »Man in the Middle« (von Jonathan W.)

Die strittige Szene kommt aufgrund der vielen Vorfälle während des Spiels in der Zusammenfassung sehr kurz (hier online, ab circa 04:25min – leider geht durch die Eindeutigkeit des Kommentars die Ambivalenz der Situation vollständig verloren) und auf die Darstellung ihrer Entstehung wird komplett verzichtet. Wir sehen Arnautovic nach seinem nur bedingt verwarnungswürdigem Check gegen Heiko Westermann im Rücken Kinhöfers das Wegschlagen des Balls antäuschen. Wohlgemerkt: antäuschen. Offensichtlich besinnt sich Arnautovic aber eines Besseren und verzichtet auf eine Provokation, die (ohne jeden Zweifel) die zweite Verwarnung zur Folge hätte haben müssen.
Temperament und Professionalität sind in dieser Situation sicherlich diskussionswürdig (entsprechend unterschiedlich fallen auch die Reaktionen auf die Szene in Bremen aus: Zlatko Junuzovic sprach von einer »lächerlichen« Karte, Trainer Thomas Schaaf hingegen von einer »unnötigen Aktion« Arnautovics und auch Torwart Sebastian Mielitz gab an, man müsse sich in einer solchen Situation »unter Kontrolle haben«). Die entscheidende Frage bleibt aber eine primär regeltechnische: Ahndet Kinhöfer eine Unsportlichkeit? Und als Folgefrage: Auf Grundlage welcher Regel kann der Schiedsrichter das Andeuten einer Unsportlichkeit genauso hart bestrafen wie die Unsportlichkeit selbst? Interpretiert Kinhöfer das angedeutete Wegschlagen des Balls als eine persönliche Bedrohung? Und: Rechtfertigt diese Interpretation das hohe Strafmaß, das ja immerhin eine Sperre zur Folge haben wird? Regel 12 der DFB Fußballregeln 2012/13 (PDF) führt unter der Überschrift »Verwarnung für unsportliches Betragen« an, dass eine Unsportlichkeit vorliegt, wenn »sich [ein Spieler] gegenüber dem Spiel respektlos verhält« (S. 87) – aber genau hier liegt das Problem dieser Szene: Unterm Strich ist Marko Arnautovic vom Platz geschickt worden ist obwohl er sich unter Kontrolle behielt und sich eben nicht respektlos verhielt.

18 Kommentare

  1. Pingback: Die Blog- & Presseschau für Montag, den 28.1.2013 | Fokus Fussball

  2. Achso, dann ist versuchter Mord also nicht so schlimm, weil man ja zurückgezogen hat?

    Ich glaube die zweite gelbe Karte war absolut berechtigt. Er deutet es zwar nur an, aber schon das muß bestraft werden!

    Vielmehr ist die erste Karte zu kritisieren, die war völlig überzogen. Es war ein Foul, aber bei aller Rivalität, das war nie und nimmer gelb!

    Bei Fritz sehe ich das nicht so, beide Karten kann man geben.

  3. Mein gefährliches Halbwissen liefert mir dazu die Regelung, dass auch der Versuch einer Tätlichkeit strafbar ist. Da wäre dann die Frage, ob es tatsächlich ein ernsthafter Versuch war oder nicht. Wenn ja, dann ist auch die Karte gerechtfertigt. Aber das werden Collinas Erben uns sicher bald aufrdöseln.

  4. Wir gehen in der nächsten Folge zwar ausführlich auf das Spiel vom Sonntag ein, aber ich will die hier gestellten Fragen gerne auch an dieser Stelle beantworten.

    Ja, Kinhöfer hat eine Unsportlichkeit geahndet – und zwar eine vollendete. Denn bereits die Andeutung eines Schusses in seine Richtung durch Arnautovic hat der Schiedsrichter als überzogenen, respektlosen Protest gegen die unmittelbar zuvor erfolgte Verwarnung gewertet. Zu Recht, wie ich finde: Im Video sieht man, wie Kinhöfer reflexartig eine Art Ausfallschritt macht, als Arnautovic ausholt – wohl weil er tatsächlich mit einem Schuss rechnet. Dazu kommt es zwar nicht, weil Arnautovic eben nicht schießt (hätte er das getan, dann wäre übrigens glatt Rot fällig gewesen), aber den Referee lächerlich gemacht (oder sagen wir ruhig: »verarscht«) hat er trotzdem. Und genau darin besteht die Unsportlichkeit, deshalb kann ich die zweite Verwarnung, also die Gelb-Rote Karte, absolut nachvollziehen.

    Korrekt fand ich aber auch die erste Gelbe Karte: Zwar war der Check gegen Westermann nicht besonders hart, aber man erkennt im Video gut, dass Arnautovic in dieser Situation überhaupt nicht die Absicht hatte, den Ball zu spielen (was ihm durchaus möglich gewesen wäre), sondern seine ganze Aufmerksamkeit auf den Hamburger Spieler richtete. Seine Blickrichtung und die Körperbewegung verraten ihn. Anders gesagt: Arnautovic wollte Westermann »eine mitgeben« und sonst gar nichts. Für diese Art von Disziplinlosigkeit kann man durchaus in die Brusttasche greifen.

    In der Summe mag Gelb-Rot zwar etwas hart erscheinen, aber für mich war das korrekt. Der Einschätzung, dass Arnautovic sich unter Kontrolle hatte, kann ich nicht zustimmen.

    • Danke für die Erläuterung.

      Dass dann am Ende einfach viele Dinge zusammenkommen – die zwei strittigen Tore, die zumindest in der Summe strittigen Karten, der Frust nach dem Dortmund-Spiel, die Derby-Nummer… – das alles kann und soll besagte Aktion nicht rechtfertigen. Ich wollte nur (als advocatus arnautovici quasi) darauf hinweisen, dass die Situation in ihrer Gesamtheit verwickelter ist, als es in der Zusammenfassung den Anschein hat.
      Ich sehe alle Punkte ein – und ich möchte mich auch gar nicht allzu sehr über die Leistungen der Unparteiischen »ärgern« (wie bei FoFu zu lesen war), ich wollte vielmehr auf die Ambivalenz und Relativität des vielzitierten Ermessensspielraums verweisen. Ich käme nicht auf die Idee, für jeden Schiedsrichter ein abgeschlossenes Psychologiestudium zu fordern; bin aber trotzdem der Überzeugung, dass Arnautovic sich in der Situation unter Kontrolle hatte, wenn auch im letzten Moment. Anders gesagt: der Arnautovic der letzten Spielzeiten hätte den Ball ziemlich sicher weggeschlagen – und hätte die gleiche Strafe bekommen. Das fand ich kontraintuitiv.

  5. sil3nz

    Zudem kam es mir auch noch so vor als würde Kinhöfer ihm noch eine Chance zur Entschuldigung geben, da er nach der Aktion erst noch einige Sekunden still stehen bleibt und Arnautovic direkt ansieht.
    Erst als dieser ihn aber keines Blickes würdigt kommt die Ampelkarte.

  6. Chaos

    Wenn wir hier nur von versuchtem Mord reden, ist zurückziehen sogar wünschenswert, Stichwort: Rücktritt vom Versuch ;)

    Zu der Sache: Gelb-rot ist gefühlt zu hart, gelb und eine deftige Ermahnung hätten es wohl auch getan. Auch wenn es reglementtechnisch wohl durchaus so entscheidbar ist

  7. Versuchter Mord? Sind das die Nachwirkungen von Tim Wiese? ;-)

    „Versuchte Tätlichkeit“ (so es diese wirklich gibt) scheint mir hier aber nicht vorzuliegen. Er bricht ja noch in der Bewegung ab. Insofern macht die Bewertung von Collinas Erben Sinn, auch wenn die Auslegung mMn nach überhaupt nicht zur restlichen Spielführung passt. Die erste Gelbe mag keine klare Fehlentscheidung sein, aber sie ist in jedem Fall hart. Arnautovic hatte sich zunächst sicher nicht unter Kontrolle, aber er hat sie letztlich vor dem Tritt gegen den Ball zurückbekommen. Von daher hätte ich von einem Top-Schiri unter Berücksichtigung des Gesamtkontexts (Derby, Rückstand, Unterzahl, harte gelbe Karte direkt zuvor) erwartet, dass er hier im Zweifel ein Auge zudrückt. Aber gut, das kann man sicher auch anders sehen.

    Mir fällt es aber ehrlich gesagt schwer, das Handspiel vor dem 2:1 unter „Zeitlupenwissen“ abzutun, die Bewertung der roten Karte dann aber mit eben jenem zu belegen. Das Handspiel hätte der Assistent sehen müssen.

    • @Tobias:

      Ich denke auch, dass der Assistent bei Aogos Tor das Handspiel hätte erkennen können – aber gut, er tat es nicht (es gab ja auch schon in der ersten Halbzeit Reibereien auf der rechten Außenbahn). »Zeitlupenwissen« gestehe ich ein, weil ich (wenig überraschend) eine grün-weiße Brille aufhabe. Den Fall der gelb-roten Karte finde ich uneindeutiger. Ich hätte auch ein zugedrücktes Auge erwartet.

    • Kurz zum Handspiel von Aogo vor dem 2:1 – schau mal hier (der Screenshot zeigt den Moment des Kontakts zwischen Ball und Hand): http://twitpic.com/bz1k9t

      Wenn der Assistent – was anzunehmen ist – genau auf der Höhe des vorletzten Bremer Abwehrspielers stand (also wohl von Sokratis), dann hat dieser ihm die Sicht genommen. Kinhöfer befand sich derweil außerhalb des Strafraums und recht mittig (kann man im Video erkennen). Beide waren somit durchaus dort, wo sie in dieser Situation sein sollten, und konnten das Handspiel trotzdem nicht sehen. Das ist dann einfach Pech für Werder (und das Schirigespann) und Glück für den HSV. Bei den Vergehen von Arnautovic dagegen hatte Kinhöfer beste Sicht.

      Da ich nicht die gesamte Partie sehen konnte, kann ich leider nicht beurteilen, inwieweit sich die Gelbe und die Gelb-Rote Karte in seine Spielleitung einfügten, sondern nur die einzelnen Entscheidungen kommentieren. Und die fand ich nachvollziehbar, auch wenn es den Spielraum gegeben hätte, Arnautovic alles in allem mit Gelb davonkommen zu lassen. Womöglich war Kinhöfer aber schon ordentlich gereizt und deshalb nicht mehr bereit, diesen Spielraum auch zu gewähren.

      • Danke für deine Ergänzung. Mag sein, dass er es aus der Position nicht erkennen konnte, das kannst du sicher besser einschätzen als ich. Dann hat er also einen Fehler gemacht, ohne einen Fehler zu machen. Das macht es aus Werder-Sicht nicht besser, aber wir haben eigentlich eh viel größere Sorgen, als irgendwelche Schiedsrichterentscheidungen.

  8. xxlhonk

    Also, das Spiel zeigt verschiedene Dinge.
    U.a. wie schwer es ist, eine Entscheidung zu treffen.
    Urs Meier sagte mal in einem Vortrag, er müsse innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde Entscheidungen treffen. Und das einige hundert Male pro Spiel.
    Die Numemr zum 3-1 zum Beispiel.
    Ich hatte bei der ersten Wiederholung vor nicht) gedacht: Upps war wohl Abseits! Doch ich wurde dann, erst nach dem SPiel mit Hilfe der Sky-Linie eines besseren belehrt. Hinterher mit Torlinie.
    Und so gesehen habe ich die zweite Gelbe für Arnautovic ganz klar auch als Gelb gesehen, hätte aber auch die erste nicht gegeben. Wobei in der Zeitlupe das Vergehen (den Ball nicht spielen zu wollen) klar zu erkennen war.
    Es war einfach mal wie Schaaf (Hut ab vor so einem coolen Trainer) sagte:“ Er muss sich in der Situation im Griff haben“ Egal wie groß der persönliche Frust gewesen sein mag.

    Ach ja. Zu Fritz.
    Für das gleiche Foul wurde am Samstag der Torhüter der Osnabrücker klar vom Platz gestellt. Glatt Rot. Das war eine fehlentscheidung, die gelbe aber nicht. Er darf da so nie im leben hingehen, wie ihr euch vllt. an Jarolim und die Pokalverlängerung gegen Euch erinnert.

    PS Das handtor konnte man auch erst in der dritten oder vierten Wiederholung sehen. Und der Adler hatte sich ja auch bemüht, dass wieder auszugleichen…

    • Der Platzverweis gegen Fritz war richtig, ich weiß gar nicht, warum es da überhaupt eine Diskussion gab/gibt. Die Karte hat vor allem Thomas Schaaf zu verantworten, der muss eigentlich sehen, dass sein Kapitän seit 10 Minuten physisch abbaut und kaum noch hinterher kommt. Man konnte so eine Situation kommen sehen und muss als erfahrener Trainer unter diesen Umständen einen gelb verwarnten Spieler rausnehmen. Das Timing bei der Grätsche war völlig daneben, Fritz muss ja sogar noch mal mit der Hand nachgreifen, um den Gegenspieler auch wirklich zu Fall zu bringen.

  9. Versuchte Tätlichkeit scheidet aus, da Arnautovic keinen Versuch unternommen hat. Dies wäre der Fall gewesen, wenn er z.B. Kinhöfer den Ball hinterher gekickt, aber ihn knapp verfehlt hätte. Gelb ist durch Regel 12, Stichwort „Protestieren/Reklamieren durch Worte oder Handlungen“ natürlich abgedeckt, aber das wäre auch bei einem simplen „Ach nöööö“ schon der Fall. Meiner Meinung nach ist die 2. gelbe Karte überzogen, ebenso wie die auch die erste für ein Vergehen, das nicht einmal die Bezeichnung „Allerweltsfoul“ verdient hat.

  10. Flo

    Sicherlich liegt die Gelb-Rote im Ermessensspielraum von Kinhöfer. Ich persönlich finde die erste Gelbe hart und die Zweite ist eine typische Kinhöfer-Karte, die vermutlich die meisten anderen Bundesliga-Schiris nicht gegeben hätten. Zumindest nicht in der Situation Sekunden nach der Ersten.

    Siehe auch: http://www.kicker.de/news/fussball/dfbpokal/spielrunde/dfb-pokal/2009-10/4/993586/spielanalyse_fc-augsburg-91_1-fc-koeln-16.html

    Da lässt Kinhöfer erst eine harte Gangart der Augsburger laufen, stellt dann dafür einen Kölner (Chihi) für eine vermeintliche Tätlichkeit vom Platz und gibt in der Folge noch 2 sehr softe Gelb-Rote Karten. Bis auf die Rote für Chihi kann man davon sicherlich auch alles unter Ermessensspielraum laufen lassen… Köln hat er seit dem auch nicht mehr gepfiffen.

  11. Pingback: FF26 – Collinas Erben: Wann ist ein Foul ein Foul? | Fokus Fussball

  12. Pingback: Postscriptum: »Wann ist ein Foul ein Foul?« |

Schreibe eine Antwort