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Retrofilter, Licht und Schatten

ailton-abschied

»Ich habe in vielen Vereinen gespielt, aber in meinem Herzen gibt es nur einen Verein:
SV Werder Bremen.«

– Aílton

Spätsommer, Sonne und Samba… – nun ja, zumindest die deutsche Ballermann-Interpretation (»Samba de Janeiro«) davon: Aílton Gonçalves da Silva lud am Samstag ein letztes Mal ins Weserstadion ein. Der Kugelblitz wollte seine aktive Karriere dort beenden, wo er den besten Fußball seiner Karriere spielte. Und er musste nicht zweimal bitten: Mitstreiter, Freunde, Wegbegleiter aus aller Welt und nicht zuletzt 40.000 Zuschauer folgten seinem Ruf. Zu sehen gab es im ausverkauften Weserstadion einen entspannten Kick zwischen den Doublesiegern von 2003/04 und einer »Friends of Aílton« getauften Südamerika-Auswahl, der konsequenterweise auch Tim Wiese angehörte. Werder siegte 8:4, aber das war auch irgendwie nicht so wichtig. Aílton sorgte für vier Tore und ließ sich gebührend feiern. Neben einer geballten Dosis Retro-Werder samt dazugehöriger Evergreens von den Rängen ging es vorrangig um die Begrüßung und Verabschiedung der Spieler – allen voran natürlich des Kugelblitzes selbst. Grundsätzlich war die Stimmung im Stadion bestens, wenn auch nicht ganz so sentimental wie vor einem Jahr, als noch im Zeichen des Umbruchs Torsten Frings verabschiedet wurde. Als alles noch ganz frisch war, Thomas Schaaf noch keinen neuen Verein hatte, »Wiese für Werder« nicht halb so unvorstellbar klang wie es am Samstag geklungen hätte… Konjunktive. Der Heilungsprozess schreitet ganz gut voran, wie’s scheint. Und so bleibt der Eindruck eines sehr versöhnlichen Abschieds für Aílton. Für einen Samstagnachmittag ohne Bundesliga damit sicherlich eine kurzweilige und angemessene Beschäftigung.

Nur zwei Dinge noch für unser persönliches Protokoll (nicht zuletzt, weil ausführlichere Berichte mittlerweile eh bei #werder2013 und HB-People zu lesen sind).
Erstens: Der Auftritt der Doublesieger führte dem geneigten Betrachter deutlich vor Augen, was für eine Ausnahmemannschaft vor zehn Jahren am Osterdeich zusammengekommen war. Das Zusammenspiel von Meistern wie Johan Micoud und Ivan Klasnić war noch immer schön anzusehen und unterstrich, wie weit die Elf von Thomas Schaaf ihrer Zeit voraus war. Wer heute – wie so viele – Werders Mittelmaß beklagt, sollte (spätestens) nach diesem Wochenende kurz in sich gehen; und sich noch einmal kräftig über die einzigartige Spielweise vor zehn Jahren freuen: Das war die Ausnahme, nicht das heutige Spiel im Mittelfeld der Liga. Was Thomas Schaaf und die Double-Mannschaft 2003/04 erreichten, war vielleicht das Maximum, das ein Verein wie Werder Bremen erreichen konnte. Es kann (und sollte) aber heute nicht mehr unser Maßstab sein.

Zweitens: Nach dem Abpfiff tönten »HSV, Hurensöhne«-Sprechchöre durch die Gänge des Weserstadions. Auch und gerade hinter der Ost. Man kann schon bei den harmloseren Gesängen mit Stellinger Adresse diskutieren, wie sinnvoll sie in anderen Partien als dem Nordderby wirklich sind. Die Gesänge vom Samstag sind aber ohne Zweifel über der Schmerzgrenze (und vielleicht hat man durch die maximal wertvolle Arbeit einiger Bremer Ultrà-Gruppen in solchen Fragen eine andere Schmerzgrenze als in anderen Kurven, aber das spricht nicht gegen diese Einschätzung – im Gegenteil); erst das Fernbleiben jener Gruppen ermöglichte am Samstag das Vakuum, das ein Mob mit sexistischen Sprechchören ausfüllen kann. Und weil wir in unserem Blog häufig (vielleicht auch zu pauschalisierend) auf unsere Schwierigkeiten mit der Ultrà-Kultur zu sprechen kommen, wollen wir bei dieser Gelegenheit ganz deutlich sagen: Eine kritische Kurve ist so wichtig wie eh und je. Manchmal reicht offensichtlich ein einziger Spieltag, um Mindeststandards der Etikette zu über Bord gehen zu lassen.

Wir danken Aílton für die wunderbare Zeit vor zehn Jahren und wünschen ihm von Herzen alles Gute für die Zeit nach Ende seiner aktiven Karriere. Nun wird’s wieder Zeit für die Bundesliga. Wir freuen uns.
Allez les Verts!

Foto: @werderstars (via Twitter).

1 Kommentar

  1. .holger

    Das kann ich so unterschreiben. Warum man einen schönen Tag unter Freunden ohne richtige Gegener mit solchen Sprüchen zerstören muss, kann ich nicht verstehen.

    Die beiden flaggeschwenker (aus Mittelhessen) mit der Trommel haben sich auch noch fast mit Leuten hinter mir geprügelt, weil diese ‚flagge runter‘ gerufen haben, als Ailton auf dem Sofa saß und man Dank der Flagge nichts mehr sehen konnte.

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