»… no fun to hang around
Feelin‘ that same old way
No fun to hang around
Freaked out for another day.«
– The Stooges, No Fun
Es hätte ein schöner Tag werden können. Zumindest für die Heimfans, die anders als die Gäste aus Augsburg zum Ende des Wochenendes nicht rund 1500 Kilometer durch die Republik hin- und herreisen mussten – entsprechend leer offenbarte sich dann auch der Gästeblock. Und der Werder-Anhang? Und ohne sonderlich hohe Erwartungen kann man ja nicht allzu hart enttäuscht werden, so oder ähnlich lautete der Kalkül.
Das Werder-Syndrom
Nach dem denkbar ungünstigen Saisonauftakt in Lotte und München ließen wir trotz teils indiskutabler Darbietungen wie manch anderer Fan der unaufgeregten Sorte Fünfe gerade sein und verlegten unseren offiziellen Saisonstart auf das erste Heimspiel. Auf gestern also, gegen Augsburg. Die ganz große Lust, das Fieber und die unbedingte Vorfreude wollten sich aber selbst im Laufe des Vormittags nicht so recht einstellen. »Sommerpause war irgendwie auch ok« – das allein hätte stutzig machen können sollen.
Trotzdem schien alles angerichtet für ein schönes Fußballspiel: spätsommerliche Temperaturen, Anreise mit der charmanten Delegation des Berliner Fischmobs, Serge Gnabrys Debüt im Weserstadion… – aber es kam anders. Kaum Fußball während der ersten zwanzig Spielminuten, stattdessen Seltsamkeit. Trotz des energischen Bemühens der Ultrà-Gruppen blieb das Stadion über weite Teile des Spiels lethargisch, teilweise waren die Sprechchöre der wenigen Gästefans selbst in der Ostkurve laut und deutlich zu hören. Es fremdelte. Im Stadion, in der Kurve. Das Gefühl einer seltsamen Uneingebundenheit und Passivität – am Ende eine ungewollte Nebenwirkung all der Werder-Spiele der letzten Jahre? Eine übertragene Lethargie, womöglich ansteckend, das Werder-Syndrom?
Seien wir ehrlich: Es hätte gestern nicht viel gebraucht. Eine Handvoll ansehnlicher Spielzüge oder Torabschlüsse etwa. Oder einen Punkt für die Tabelle, wenn man die mehr oder weniger verdiente Führung schon verschenkt. Es kann und soll nun nicht darum gehen, einzelne Spieler positiv herauszuheben oder andere für ihr Auftreten an den Pranger zu stellen. Es hat in der Summe nicht gereicht. Auf dem Platz. Mal wieder.
Der Mythos ist tot
Klar, dass das frustriert. Dass es nach Abpfiff der Partie »Skripnik raus!«-Rufe und Pfiffe gegen die eigene Mannschaft gab, halten wir trotzdem für grundfalsch. Solche Ausfälligkeiten mögen dem genervten Fußballfan ein hilfreiches Ventil zur Frustkanalisation sein, einer ohnehin verunsicherten Mannschaft dürften sie schwerlich Motivation und Selbstvertrauen für die kommenden Partien verleihen. Fraglos, es könnte Alternativen zu Resignation (als vorzeitiges Verlassen des Stadions etwa) und Wut (in Form von Pfiffen oder Becherwürfen gegen Mannschaft und Trainerteam) geben – aber der Konjunktiv weist auf die Wunschhaftigkeit des Gedankens hin: eine die Mannschaft nach dem Spiel komplett anschweigende Ostkurve, zum Beispiel. Eine schweigende Wand.
Warum das etwas Anderes wäre? Weil es einen elementaren Unterschied zwischen Liebesentzug (Schweigen) und Wutreaktion (Pfiffe) gibt. Und weil eine solche Geste die mutlose Mannschaft nachhaltiger irritieren und zum Nachdenken anregen dürfte als die aus anderen Fußballstadien hinreichend bekannten Übersprungshandlungen. Anyhow, das Problem bleibt ein theoretisches. So etwas ist mit keiner Fankurve zu machen. Nicht einmal in der allseits mit Lob überhäuften Bremer Fanszene.
Und damit wären wir bei der eigentlichen Einsicht des gestrigen Tages angelangt: Dass er nun endlich zerbröselt, der Mythos vom Werderfan als irgendwie »besonderen« Fan.
»Allez grün!«, Support, »Wonderwall«, lalala.
Nein – Wutfans, Becherwürfe zwischen Ober- und Unterrang, Pöbelei und Pfiffe gibt es an der Weser auch. Bei aller Beschaulichkeit dauert es hier anscheinend nur etwas länger, ehe sich der Unmut und das Gekeife aus den Foren und sozialen Netzwerken ins Stadionrund erbricht. Und dort auf Menschen trifft. Man wünscht sich fast, der Verein würde Viktor Skripnik aus Gründen des Selbstschutzes beurlauben. Aber das käme einer Kapitulation gleich.
Foren und Netzwerke kann man meiden (und der mentalen Hygiene wegen empfehlen wir das nachdrücklich). In der Kurve wird es zunehmend schwieriger. Un-heimlicher.
No fun.
Ein Nachsatz…
Edit (19:30h). Es ist kein Selbstmitleid. Klar, fast alle 40.000 Anwesenden hätten sich bessere Beschäftigungen für einen sommerlichen Sonntagnachmittag vorstellen können. Es ist auch kein trotzig-beleidigter »Wir haben Euch die letzten Jahre immer bedingungslos unterstützt und jetzt müsst Ihr liefern«-Anspruch. (Es war ja bedingungslos!) Und es ist erst recht nicht die ebenso verquere wie machohafte Attitüde größenwahnsinniger Fußballfans, die schließlich in Aussagen à la »Ihr seid unwürdig, unser Trikot zu tragen…« gipfelt.
Es ist die Fassungslosigkeit über die eigene Ratlosigkeit. Das Gefühl dieser seltsamen Unbeteiligtheit, wie in einem Film. Wie in einem ziemlich schlechten Film. Wie in einem ziemlich schlechten Film über einen Autounfall.
Werder, wir sind nicht nachtragend. Das weißt Du genau. Gib’ Dir endlich Mühe.
Damit das alles wieder Spaß macht.
ALLEZ LES VERTS!
Foto: Wellenbrecher. Danke!
Menschen
Bei dieser fundierten Darstellung aus Sicht des Autors, wäre es mir als Kernbotschaft ausreichend.
Ich fand diese Umgehensweise mit diesen Menschen gestern einfach beschämend.
Erstmal: Sehr schöner Text!
Natürlich gehört es sich nicht, aber wie Du schon richtig beschreibst war die Haltung seltsam Müde, fast schon erwartungslos. Die Haltung die man verlangen könnte damit der »Mythos« lebt wäre schon unnatürlich und entspricht eher einem Modell Nordkorea. Das echte Leben in meine Fall: Man fährt 220 km, gibt 100 € aus, es ist warm und man sieht wie die Mannschaft auseienanderfällt. Da sitzt der Becher schon mal etwas lockerer. Das was die Bremer Fans mitmachen, von wo sie kommen und wie Sie es ertragen verdient schon das Prädikat »Vasallentreue«. Die wenigen Pfiffe, die fast schon über sich selbst erschrocken, in sich zusammengefallen sind, fand ich ziemlich harmlos.
Pingback: »Danke Viktor!« | vert et blanc hambourg