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Una ballata del mare verde e bianco.

Winter 2017. Bei über 30 Grad saſʒen wir in vertrauter Runde auf der schattigen Veranda des »Java Inn« in Paramaribo, am linken Ufer des Suriname. Die Beine waren auf dem niedrigen Tisch abgelegt, der ansonsten mit leeren Flaschen und gefüllten Gläsern bedeckt war, als aus heiterem Himmel ein abgehetzter Botenjunge auf die Veranda stolperte und uns nach Atem ringend einen Briefumschlag überreichte, der auf klandestinem Wege in seine Obhut gelangt war…

So oder ähnlich sah es wohl aus, als uns der Herausgeber des Ulmer »La Cosa Nostra«-Fanzines im November 2017 kontaktierte. Er war plante schon seit einiger Zeit einen inhaltlichen Schwerpunkt zu Hugo Pratts legendärerer Comicfigur »Corto Maltese« und dessen Verwendung im Fuſʒballkontext. Bei der Recherche stieſʒ er auf uns und schnell einigten wir uns auf ein kleines Interview, das unlängst in der mittlerweile vergriffenen LCN-Doppelausgabe 27/28 veröffentlicht worden ist. Wir möchten es Euch an dieser Stelle nachreichen.

La Cosa Nostra: Hallo! Ich habe bei meinen Recherchen zu Corto Maltese in Deutschland nur eine einzige Referenz gefunden. Und dann stellt sich heraus, dass die Verantwortlichen nicht nur gedankenlos eine coole Zeichnung kopiert haben, sondern sich wirklich mit Comics auskennen. Darüber bin ich gerade ziemlich glücklich. Könnt Ihr zum Einstieg mal Eure »Fuſʒballkarriere« zusammenfassen? Wo verortet Ihr Euch in der Ultràbewegung, in Bremen, aber auch allgemein?

vert et blanc: Wir begreifen uns nicht als Teil der Ultràbewegung. Wir sind ein loser Zusammenschluss von Werderanern, die das Leben, die Liebe oder sonstwas in die falsche Hansestadt – die an der Elbe, – verschlagen hat. Wir sind auch kein Fanclub, es gibt keine Satzung und kein Mitgliedschaftsregeln. Sowas ist uns, das ist vielleicht auch schon eine erste Parallele zu Corto Maltese, eher fremd. Früher haben wir ein wenig abgedroschen Karl Marx zitiert und von einer »freien Assoziation« geredet, – und irgendwo trifft es das auch immer noch ganz gut. Aber ist halt auch dick aufgetragen. De facto sind wir ein paar Freunde mit einer gemeinsamen Passion: Werder ist der Verein unserer Schulzeit und Jugend, mit dem wir Höhen und Tiefen erlebt haben und mit dem wir uns bis heute beschäftigen. Auf andere Art als noch vor zehn, fünfzehn oder dreiſʒig Jahren, klar. Das liegt auch in der Natur der Sache. Seit 2012 ist die erste und bekannteste Anlaufstelle unsere Seite vert-et-blanc.net, dort kann man auch einen ganz guten Überblick über unsere Aktivitäten bekommen…

Aber noch mal zurück zu Deiner Ausgangsfrage: nach unserem Verhältnis zu »der Ultràbewegung«, schwierig. Mit Tradition, (antimoderner) Fussballfolklore, Authentizität und Mackertum können wir nichts anfangen, im Gegenteil. Aber es muss ja nicht überall nach Regression müffeln, wo »Ultrà« draufsteht – wir hegen aber durchaus Sympathien für die eine oder andere Bremer Gruppe und freuen uns, dass dort auch immer wieder sinnvolle Sachen angestoſʒen werden, z.B. zuletzt die Veranstaltungsreihe »Fuſʒballfans gegen Antisemitismus«. Klar, da gibt es dann schon Überschneidungen, Sympathien, Kontakte – aber wir sind nie Teil der Ultrà-Kultur gewesen.

LCN: Und wie seid Ihr zu Corto Maltese gekommen? Was bedeutet er für Euch persönlich, also jenseits des Fuſʒball-Kontexts?

VEB: Ganz klassisch, in den Comic-Kisten unserer alten Stadt- bzw. Schulbibliothek. Neben Asterix, Lucky Luke und sowas gab es da auch ein paar Bände von Hugo Pratt. Comics haben uns immer begleitet, lange bevor man im Feuilleton hochtrabend von »Graphic Novels« sprach. Comics lesen und Comics zeichnen, auch in schwarz-weiſʒ kopierten Fanzines. Aus Schulheften wurden Comichefte, immer wieder. Corto Maltese war dann der erste »andere« Comic und das hat uns damals wirklich nachhaltig geflasht: Die Hefte waren nicht witzig oder albern, im Gegenteil. Sie hatten etwas Irritierendes, fast Ernstes. Vielleicht kennst Du das berühmte Zitat des italienischen Autors und Semiotikers Umberto Eco? Der schrieb im Vorwort der 1991er Ausgabe von Pratts »Südseeballade« Folgendes: »Wenn ich mich entspannen will, lese ich Engels. Steht mir der Sinn nach Ernsthaftem, lese ich Corto Maltese.« Klar, Eco übertreibt, aber sein Ausspruch hat definitiv einen wahren Kern.

Bis heute gehört Corto Maltese zu unseren absoluten Lieblingscharakteren. Und das, obwohl er sich nicht greifen lässt… – oder gerade deswegen? Corto ist ein ruheloser und zugleich gemütlicher Weltenbummler, ein Kapitän ohne Schiff, ein Revolutionär ohne Revolution, ein Einzelgänger, der Sympathien für soziale Kämpfe hegt. Er ist dabei aber selbst kein Kämpfer im engeren Sinne und ganz sicher kein klassischer Held. Eher ein Mann der Widersprüche, aber mit klarem moralischem Kompass. Corto ist ein Suchender, ein melancholischer Grenzgänger, zwischen Ländern, Welten und Realitäten. Für uns repräsentiert er am ehesten Unabhängigkeit – sowohl in Bezug auf seine Gefährten und Bekanntschaften, – aber auch auf einer Metaebene, gegenüber den lange Zeit geltenden Konventionen des Comics. Auſʒerdem ist das alles auch noch ganz fabelhaft gezeichnet, von Hugo Pratt: Die Figuren, Landschaften, Wolken und Möwen. Sein prägnanter Strich – der wirkt sehr flüchtig und leicht und es ist dennoch häufig so krass auf den Punkt gebracht… Du siehst, auch nach zwanzig Jahren gerät man da noch ins Schwärmen!

LCN: Die Fachleute von der Comic Company (vgl. Interview im selben Heft) kamen überhaupt nicht damit klar, dass so ein Charakter wie Corto Maltese beim Fuſʒball auftauchen konnte. Wie kam es dann, dass Ihr ihn für einen Fuſʒballsticker herangezogen habt? Warum passt das für Euch doch zusammen?

VEB: Für uns passt das total gut zusammen, wie Du Dir vielleicht denken kannst. Aber ich kann auch verstehen, dass man das erst einmal nicht unter einen Hut kriegt – kommt ja auch immer erst einmal darauf an, was für ein Bild vom Fuſʒball und dessen Milieu man hat… wenn man da sehr klassisch unterwegs ist, traditionalistisch und identitär, dann gibt es gewiss geeignetere Figuren als Corto, als Projektionsflächen jetzt. Aber so tickt vert et blanc halt nicht. Vielleicht lässt sich das nur biografisch beschreiben: Comics (im Allgemeinen und Corto Maltese im Speziellen) und Werder begleiten uns so lange, da gab es immer wieder Momente im Leben, in denen die Stimmungen zueinander zu passen schienen – man kennt das vielleicht noch bei Musik, da ist das auch ähnlich. Musik, Comics, Fuſʒball, ohje! Es ist ja nicht alles eitel Sonnenschein, zumindest nicht, wenn man es mit einem Verein wie Werder hält. Diese Ambivalenz, dass Deine Passion im wahrsten Sinne des Wortes Freud und Leid, Euphorie und Melancholie verursacht, die kennt doch jeder Fuſʒballfan. Und dieses Grundthema, diese Grundstimmung, die steckt auch in Pratts Comics: Fernweh, Hoffnung, Enttäuschung. Insofern passt das total super zusammen. Und was lag dann näher als Eins und Eins zusammenzuzählen? Ein Seemann, Möwen und Bremen – das passt ja auch auf einem viel grundsätzlicheren Level ganz gut, für Leute ohne Pratt-Referenzen. Naja, so sind damals die Sticker mit dem modifizierten Corto-Panel entstanden…

LCB: Ist Euch Corto Maltese schon einmal bei einer anderen Szene aufgefallen?

VEB: Wir haben vor ein paar Jahren mal Fotos aus Italien gesehen, Pratt – Italien, klar. Das war ein Doppelhalter mit Corto Maltese darauf… Rimini vielleicht? Rot. Aber da stecken wir nicht so drin… fiel uns halt vor allem auf, weils Corto war. Diese klassische Zeichnung im Profil: Kapitänsmütze, Kragen, Kippe. Eingefasst durch ein Tau. Ganz hübsch, aber über die Gruppe dahinter wissen wir nichts.

LCN: Ihr beschäftigt Euch viel mit Comics. Ich glaube, wenn man mit deinem Hintergrund Kurvenfotos anschaut, dann findet man überall irgendwelche Referenzen an Comics (Choreos, Logos, Doppelhalter), oder? Seht Ihr das positiv oder nervt Euch die gedankenlose Verwendung? Welche Gruppen/Kurven stechen für Euch heraus, positiv oder negativ? Welche einzelnen Beispiele habt Ihr spontan im Kopf?

VEB: Ehrliche Antwort? Spontan gar keine… Das liegt vermutlich daran, dass viele Choreos, Logos etc. eine Figur als notwendiges Übel betrachten, weil ihnen nichts Besseres einfällt. Man kopiert dann irgendwas oder irgendwen raus, zeichnet es groſʒ, aber am Ende bleibt die Illustration austauschbar. Da sind die Referenzen eigentlich gar keine, sondern bloſʒes Mittel zum Zweck. Ein bisschen wie in der Werbung, wenn ein Spot mit gefälliger Musik unterlegt wird. Das funktioniert dann kurz, ist aber irgendwie egal. Ganz selten gibt es aber mal ’nen Werbespot mit einem wirklich groſʒartigen Song, vielleicht ein richtiger Klassiker, der bleibt Dir dann im Gedächtnis. Das kommt zugegebenermaſʒen nicht häufig vor – aber so ist’s auch mit Comic-Referenzen, wenn wir uns Fotos aus Kurven anschaue…

LCN: Wenn Ihr einer der italienischen Gruppen mit Bezug auf Corto Maltese eine Frage dazu stellen könntest, welche wäre das?

VEB: Uns würde natürlich auch die Geschichte dahinter interessieren, im Prinzip also all jene Dinge, die Du uns auch gefragt hast. Aber dafür bräuchte es vermutlich ein, zwei Gläser Bier oder Wein und einer von uns müsste Italienisch sprechen und verstehen können – aber andererseits: über Corto Maltese schwadronieren, das geht ja immer irgendwie…

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