»Das Glück der Tüchtigen und die Fans im Rücken.«
– Thomas Eichin
»Schlusspfiff! Drei Punkte!
Und die Arschlöcher mit dem homophoben Transparent können ohne Punkte zurück nach Leverkusen fahren – golden!«
– @vertblanc (21.12.2013, 17:23)
Werder schägt Bayer Leverkusen im letzten Spiel eines für alle Grün-Weißen nervenzehrenden Jahres 2013 mit 1:0. Unnötig zu sagen, dass mit diesem Ergebnis a prori nicht zu rechnen war. Man muss wohl auch nicht betonen, dass die Gäste aus dem Rheinland nominell in nahezu jeder Statistik (Torschüsse 11:22, Passquote 72:81%, Ballbesitz 35:65%) die Nase vorne hatten. Im Weserstadion wurde gestern keine Fußballfeinkost serviert – und trotzdem bescherte die Mannschaft um Kapitän Aaron Hunt ihren Fans vorzeitig das wohl schönste Weihnachtsgeschenk: Denn es geht mit wichtigen drei Punkten (und tabellarisch vor dem HSV!) in die wohlverdiente Winterpause.
Zum Spielverlauf selbst ist an dieser Stelle gar nicht viel zu sagen schreiben: Die Werkself hatte über weite Teile der Partie das Heft in der Hand, Werder überzeugte – insbesondere durch das sehr überzeugende Comeback Sebastian Prödls – nach zuletzt desolaten Darbietungen vor allem in der Defensive: Robin Dutt schickte die Mannschaft in einem 4-4-2-0 und bestenfalls moderaten Pressingbemühungen auf den Platz, um so die Räume im Mittelfeld eng zu halten. Werder verteidigte tief, griff phasenweise auf eine mannorientierte Verteidigung zurück und verlegte sich ansonsten aufs Konterspiel (eine ausführliche Analyse der Partie gibt es bei der Spielverlagerung zu lesen).
Dass ein von Aaron Hunt eingeleiteter Konter in der 74. Minute bei Linksverteidiger Santiago García landete, der den entscheidenden Ball zum 1:0 über die Torlinie stocherte, kann dann auch nicht wirklich überraschen. Unterm Strich sahen wir einen durch hohes Engagement und starken Teamgeist verdienten wenn auch glücklichen Sieg gegen die Werkself aus Leverkusen, die ihr gefürchtetes Konterspiel nicht aufziehen konnte und zudem bei den zahlreichen Standardsituationen seltsam hilflos wirkte. Robin Dutt war es offensichtlich gelungen, die Mannschaft auf den Gegner einzustellen: Werder fand mit der tiefen Aufstellung, der Kompaktheit im Mittelfeld und einer gehörigen Portion Kampfgeist ein versöhnliches Ende für eine nervenzehrende Hinrunde. Ohne Gegentor.
- Honorable Mentions: Aaron Hunt, Sebastian Prödl, Santiago García und Raphael Wolf.
- Dishonorable Mentions: Jene Leverkusen-Anhänger, die durch ein homophobes Spruchband auf sich aufmerksam machten.
Ausblicke
»Was hier in Bremen abläuft, gibt es nicht so oft in der Bundesliga. Das ist Wahnsinn. Wie uns alle am Ende eines so schwierigen Jahres angefeuert haben – mir fehlen wirklich die Worte.«
– Robin Dutt
»Die Fans waren nicht nur heute ganz, ganz stark. Sie haben gemerkt, dass die Mannschaft Hilfe braucht. Sie haben akzeptiert, dass wir heute tief stehen mussten. Sie sind so wichtig. Aber es ist auch wichtig, dass sie das durchhalten.«
– Thomas Eichin
»Oh du Schreckliche?« Weil es um die Stimmung in Bremen zuletzt nicht gut bestellt war, das Schlagwort von der »Krise« einmal mehr die Runde machte und auch kühle Köpfe abwärts blickten oder therapeutisch gegen die Hysterie anschrieben, an dieser Stelle noch ein paar kurze Worte zum Stand der Dinge an der Weser (edit: eine ebenso lobens- wie lesenswerte Ausnahme ist Andreas’ Beitrag »Der Sturm vor der Ruhe« im Werder-Exil: »Werder [ist] scheinbar doch nur ein stinknormaler Fussballclub mit Fans, die reflexartig negativ reagieren. Wenn dem wirklich so ist, fände ich das sehr schade«).
Sowohl Thomas Eichin als auch Robin Dutt haben von Anfang an mit offenen Karten gespielt: Vor Beginn der Hinrunde wurde von einer Umbruchssaison gesprochen, in der man gegen den Abstieg spielen werde (»Es wird für uns eine harte Saison«). Es wurde eine mittel- und langfristige Entwicklung in Aussicht gestellt – und gleichzeitig vor Rückschlägen gewarnt, die es ganz sicher geben werde (»Wir müssen einen Schritt zurückgehen, um wieder zwei Schritte nach vorn zu kommen«). Es wurde darauf verwiesen, dass man mit dem aktuellen Kader arbeite und dringend nötige Umstellungen in Anbetracht der finanziellen Lage über die Dauer mehrerer Transferphasen vorgenommen werden müssten. Man brauche Zeit (»Trainer zu sein, heisst Entwicklungsarbeit. Der Aufbau einer Mannschaft dauert mindestens ein Jahr«), Vertrauen und Ruhe, um Werder in größerer Perspektive wieder konkurrenzfähig zu machen (»Es ist ein harter Kampf, da unten rauszukommen. Es gibt nicht jedes oder jedes zweite Wochenende drei Punkte«).
Das ist mitunter nur schwer zu ertragen und kostet den Verantwortlichen, der Mannschaft aber ganz sicher auch den Fans das eine oder andere graue Haar. Es ist trotzdem kein Grund an der grundsätzlichen Marschrichtung und Arbeit Robin Dutts und Thomas Eichins zu zweifeln, einzelne Spieler zur Zielscheibe des eigenen Frusts zu machen oder sich als verdiente Ex-Spieler des Vereins im Boulevard in Hysterieproduktion zu üben. Wir sind hier nicht in Gelsenkirchen oder beim HSV – das ist Bremen, Leute.
»Alle wissen, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben.«
– Robin Dutt
»Wir können uns auf unsere Fans verlassen. Das beflügelt uns.«
– Aaron Hunt
Zugegeben: Es stehen drängende Herausforderungen ins Haus. Und man sollte den gestrigen Sieg nicht überbewerten (auch wenn es dem frisch gekürten Klub-Weltmeister aus München in der Hinrunde nicht gelang, Leverkusen zu schlagen…) – aber ein Korrektiv zu den Zwischenrufen der jüngsten Zeit braucht es allemal. Sicherlich kommt die Winterpause allen Beteiligten gerade recht – uns auch. Dass sich die Mannschaft gestern mit drei Punkten aus der schwierigen ersten Spielzeit verabschiedet hat, kann unter psychologischen Gesichtspunkten – auch für das Bremer Umfeld – gar nicht überschätzt werden. Darum (und weil’s so schön war!) hier noch mal Garcías Tor und der Schlusspfiff der gestrigen Partie zum Nachhören bei Radio Bremen.
Bis nächstes Jahr. Allez les Verts!
Fotos: Wellenbrecher (Choreo), Werder Bremen (Kopfball, Hunt, Tannenbaum).
Prinzipiell stehe ich ja auch hinter der grundlegenden Marschrichtung von Dutt und Eichin. Man kann doch aber die erschreckende Negativ-Serie vor dem Leverkusen-Spiel nicht einfach ignorieren, oder? Und bis Samstag kannte sowohl der Weg in der Tabelle als auch das was ingesamt auf dem Rasen passierte nur einen Weg: abwärts. ;) Und ich halte den Versuch, offensiver zu agieren, immer noch für einen Fehler, da offensichtlich die Mannschaft noch nicht so weit war, vor allem hinsichtlich der defensiven Stabilität. Es war ja auch nicht nur ein einmaliges Experiment, sondern wurde ja über mehrere Spieltage hinweg versucht.
Der Sieg am Samstag war nicht auch zuletzt aufgrund der Tabellenkonstellation hinter uns (Freiburg gewinnt, Frankfurt punktet) wichtig und lässt Verein und Fans beruhigter in die Winterpause gehen. In diesem Sinne: Frohes Fest und Guten Rutsch!
Hey Stephen, freue mich von Dir zu lesen.
Nein, man kann die Serie vor dem Leverkusen-Spiel sicher nicht ignorieren. Noch dazu sollte man im Hinterkopf haben, dass die meisten Spiele (vom Sieg gegen den HSV vielleicht mal abgesehen) sehr leicht auch anders hätten ausgehen können. Nicht zuletzt stimme Dir zu wenn Du schreibst, dass die Konzentration auf die Offensive zu früh kam. Aber das sehen wir natürlich aus der Retrospektive und mit einem gewissen Abstand so. Summa summarum rechtfertigt das aber nicht die ätzende Nörgelei auf den Rängen und den Social Media-Kanälen. Andreas (dessen Artikel ich oben nachgetragen habe) und der »el Diablo« (auf HB-people) haben dazu ja eigentlich das Wesentliche
gesagtgeschrieben. Mir ging es nur darum, noch einmal aufzuzeigen, dass Eichin und Dutt von Anfang an mit offenen Karten spielten.Eins noch: Meiner Meinung nach hat sich der Cheftrainer dreimal getäuscht. Einmal hinsichtlich der Solidität der Defensive. Einmal über die Stärke des Kaders beim Wechsel zum Verein. Und zuletzt wohl mit Blick auf die Miele/Wolf-Rochade.
Unterm Strich aber alles keine Kardinalfehler. Und beileibe kein Grund für Hysterie.