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Normalität und Wahrheit

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»So lange wir ›outen‹ sagen, sprechen wir von einer Besonderheit. Ich hätte gerne, dass es Normalität wird.« – Robin Dutt (FR)

Bei aller berechtigten Kritik an einschaltquotengerechter Umverlegung von Anstoßzeiten, an überteuerten Kartenpreisen oder der globalen Ausbreitung des Sitzplatzprinzips: die mit dem infantilen Kampfbegriff »moderner Fußball« stigmatisierte Kommerzialisierung des Profisports hat ihre guten Seiten. Indiz dafür mag die breit kommunizierte Zustimmung sein, die jüngst an Thomas Hitzlspergers Coming-Out anschloss (dass die Vehemenz der Sympathiebekundung und die Betonung einer zeitgemäßen Normalität de facto darauf verweisen, was Homosexualität in der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor nicht ist: nämlich Normalität, ist eine andere Diskussion…). Es kann kaum von der Hand gewiesen werden, dass die Gentrifizierung der Fußballstadien und die damit einhergehende Veränderung des Publikums einen zivilisierenden Effekt hatte und hat. Martin Krauss weist in seinem Artikel »Die Wahrheit der Kreisliga« aber zu Recht darauf hin, dass sich »die Homophobie auf den Rängen, die ähnlich wie der Hass auf Juden oder auf Schwarze immer schon ein Problem des Fußballs war, mit Verdrängung der ›Kuttenfans‹ aus dem Fußball nicht mit verabschiedet« habe.

modernDumpfe Parolen, gegrölt aus tausend Kehlen, sind seltener geworden (als bezeichnende Ausnahme müssen wohl die unseligen »Sieg«-Sprechchöre gelten, die sich unlängst in deutschen Stadien etabliert haben). Entwarnung kann dennoch nicht gegeben werden: Regelmäßig bedient sich das notwendig falsche Bewusstsein heute subtilerer Kanäle und nutzt aktualisierte Chiffren für seine Atavismen – das gilt für Homophobie, Antisemitismus und Rassismus in ähnlicher Weise.
Und jenseits des Blitzlichtgewitters, in den unteren Ligen der Republik und im antimodernen Habitus adoleszierender Männerbünde, herrschen nach wie vor erschreckende Zustände. Dort, wo der anachronistische Wunsch nach Gemeinschaft und (kollektiver) Identität am virulentesten wirkt, bedarf es noch immer des Anderen als Kontrastfolie eigener Überlegenheit: »Um das eigene Dasein jedoch nicht in Frage stellen zu müssen und um jedweden Zweifel an jenen Gewissheiten und Zwängen zu vertreiben, die ihm das Leben zur Hölle machen, bedarf es […] des Angriffs auf die Abweichler. Diesen wird genau das unterstellt, wovon der Konformist selbst träumt, was er aber verdrängt und sich versagt«, konstatierte Alex Feuerherdt kürzlich in einem sehr lesenswerten Gastbeitrag für Ball und Wahn. Und fährt fort: »Die Kommerzialisierung und die Transformation des Fußballs in einen Bestandteil der Popkultur sind als Motor einer überfälligen Liberalisierung zweifellos zu begrüßen.«
Bei allen Fortschritten: Die Zivilisierung der oberen Spielklassen ist nicht abgeschlossen; sie ist laufendes Projekt. Eine Zivilisierung der unteren Ligen liegt in weiter Ferne. Es gilt einmal mehr: Für mehr modernen Fußball.

Foto: @u_Hrry.

Edit: Zum Textarchiv »Für mehr modernen Fußball«
(Überblicksseite über sämtliche Artikel zum Thema).

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