»So haben wir uns das vorgestellt.«
(Aaron Hunt)
»… ich trage auch schon seit drei Spieltagen immer den gleichen Pullover.«
(Thomas Eichin)
Endlich wieder Fußball. Nachdem in der vergangenen Woche vor allem die Diskussion um den 11Freunde-Titel und die Reaktionen auf die Kritik die Geschehnisse in unserem Blog bestimmten, fieberten wir alle dem Wochenende entgegen: Bundesliga, Werder gegen den HSV, Nordderby! Und das alles in seiner hundertsten Bundesliga-Auflage sogar, diesmal aber als Kellerduell ausgewiesen. Es stand zu befürchten, dass die Hamburger nach ihrem jüngsten Trainerwechsel und dem Heimerfolg gegen Dortmund mit breiter Brust in Bremen landen würden. Und nicht zuletzt die Medien trugen ihren Teil dazu bei, die Nervosität im Vorfeld des Spiels ins Unermessliche zu steigern (so waren dem Weser-Kurier größtenteils harmlose Fan-Sticker rund ums Weserstadion einen eigenen Artikel wert und für die Welt grub Lieblingsreporter KNB gar ein altes Foto von unserer Homepage aus und präsentierte es als vermeintlich aktuellen »Schmähaufkleber«…). Summa summarum ein Nordderby, das »in Hysterie und Tamtam insgesamt wohl für länger unerreicht« bleiben wird. Thomas Eichin gab nach dem Spiel zu Protokoll, dass die immense Bedeutung des Spiels und die hohe Erwartungshaltung die Verantwortlichen intern vor eine Herausforderung gestellt haben: »Das Derby wurde von den Fans und den Medien sehr gepusht. Wir haben deshalb bewusst versucht, viele Gespräche zu führen, um ein wenig Druck von der Mannschaft zu nehmen. Wir wollten intern den Ball flachhalten.« Die Partie wurde eingeleitet mit einer fast zehnminütigen Choreo in der Ostkurve, die unter dem Motto »Hundert Spiele wie im Märchen« zu beeindrucken wusste. Fast erlösend war es, als der Ball nach Anpfiff endlich rollte.
»Who’s house? — Werder’s house!«
»Wir sind der verdiente Sieger.
Auch weil wir, wie ich finde, in allen Einzelbereichen besser waren als Hamburg.«
(Thomas Eichin)
»… when I say who’s house, you all know what time it is.«
(Run DMC)
Wie dem auch sei: Fußball. Werder startete ohne Luca Caldirola und Felix Kroos, dafür mit Aleksandar Ignjovski und einer Mittelfeldraute. Robin Dutt schaute sich den überraschenden Auftritt der Hamburger ggen den BVB offenbar sehr genau an, denn die Aufstellung muss als direkte Reaktion auf das massive Mittelfeldpressing und das Slomka-typische Konterspiel interpretiert werden. Für Taktikfreunde hat Tobias Escher eine gewohnt lesenwerte Analyse auf Spielverlagerung.de verfasst – hier also nur kurz: Werder dominierte die Partie von Beginn an. Mit aggressivem Angriffspressing, langen Bällen nach vorne und dem Verschieben des Spiels auf die Außen immunisierte sich Werder gegen die zu befürchtende Mittelfelddominanz des HSV. Die Mannschaft kam gut in die Zweikämpfe und ein halbhoher Ball auf Aaron Hunt führte zur frühen Führung: Dessen Hackentrick auf Zlatko Junuzovic hatte das 1:0 für die späteren Derbysieger zur Folge (19. Minute).
Explizit muss die Leistung von Sebastian Prödl und Assani Lukimya hervorgehoben werden, deren Lufthoheit jede Gefahr hoher Hamburger Bälle neutralisieren konnte. Zudem gelang es Lukimya in bemerkenswerter Weise, Pierre Michel Lasogga aus dem Spiel zu nehmen. Auch Raphael Wolf muss besonders lobend erwähnt werden: Seine blitzschnelle Reaktion lenkte die einzige nennenswerte Torchance der Hamburger durch Hakan Çalhanoğlu an die Querlatte (43. Minute) – ein Umstand, der Tobias bei Meine Saison spekulieren lässt, ob der Keeper nicht »vielleicht doch gute Chancen [habe], länger als nur bis zum Sommer Werders Nummer 1 zu bleiben.«
Erst nach der Halbzeitpause gelang es den Gästen, sich besser auf das Spiel der Bremer einzustellen und für zehn Minuten konnten sie Oberwasser erlangen. Mit der Einwechslung Gebre Selassies und Cedric Makiadis sowie der Aufgabe der Raute zugunsten eines 4-4-1-1 reagierte Robin Dutt gekonnt auf die neue Situation und stabilisierte so das kurzfristig schwimmende Mittelfeld durch zwei solide Viererketten. Zwar kostete die Schlussphase inklusive (durch Heimpyro! verursachter) sechsminütiger Nachspielzeit einige Nerven, aber Werder ließ nichts mehr anbrennen. Unterm Strich gab es ein sehr kampfbetontes und wenig ästhetisches Spiel zu sehen, aber auch einen mehr als verdienten Sieg: »Dutts Wechsel sorgen am Ende für einen verdienten Sieg. Werder zeigte mit der eigenen Ausrichtung auch die Grenzen des HSV auf«, resümmiert Escher. Oder in einem Wort: Supergeil!
Ostkurve on fire…
»Ich möchte dieser Aktion keine weitere Plattform bieten.«
(Robin Dutt)
Trotz aller berechtigten Euphorie müssen und wollen wir den Bericht noch um einen letzten Abschnitt mit zwei persönlichen Anmerkungen ergänzen, die weniger mit dem Spiel selbst als mit dem Support zu tun haben.
Grundsätzlich war der natürlich großartig und Spieler und Vereinsverantwortliche wurden nach Abpfiff nicht müde, die Wichtigkeit der Werderfans als Mann zu unterstreichen. Die Choreographie war atemberaubend, das muss wohl nicht noch mal betont werden. Aber dann gab es da die oben schon kurz erwähnte Pyro-Aktion in der Ostkurve, zu Beginn der zweiten Halbzeit. Wir wissen, wie kompliziert die Debatte ist und wollen das Fass hier gar nicht wirklich aufmachen. Wir verstehen den Wunsch der Pyro-Fans, bei einem so relevanten Spiel ein Zeichen zu setzen und schön sah es denn ja auch aus. Ungewöhnlich finden wir allerdings den Umstand, dass sich bei einem Heimspiel zu so einer Aktion entschieden wurde (und eine Leuchtrakete sogar den Weg aufs Spielfeld fand!). Dass die hohe zu erwartende Strafe den ohnehin klammen Verein wertvolles Geld kosten wird, hinterlässt einen faden Beigeschmack. Am Ende ging das Spiel mit dem Feuer sogar auf Kosten des Supports, weil sich Grün-Weiße anschließend gegenseitig beschimpften – und sicherlich nicht zufällig fand das Theater während Werders schwächster Phase auf dem Platz statt. Es ist Steffen beizupflichten, der schreibt: »Die Nummer war für Werders Erfolg jedenfalls gefährlicher als der Gegner, da Schiri Mayer schon mit einem Abbruch drohte und durch die minutenlange Unterbrechung merklich Dampf aus Werders Spiel genommen wurde.« Tatsächlich wird die ganze Aktion einen Vertrauensbruch zwischen Verein und Kurve und zur Folge haben, was für alle Beteiligten nur von Nachteil sein kann.
Edit (3.3.14): »SV Werder berät über Maßnahmen nach Pyrotechnik-Vorfall«.
Und dann war da noch das unsägliche »Sieg!«-Stakkato kurz vor Abpfiff – und auch hier gehen die Meinungen unter den Fans auseinander. Für uns ist die Sache klar. An dieser Stelle nur so viel: Zu häufig haben wir Idioten ihr »Heil!« direkt hinterher grölen gehört. Wir hoffen, dass sich das Gebrüll im Weserstadion nicht einbürgert und halten es bis dahin mit Volker Finke: »Als [dieser] noch den SC Freiburg trainierte, machte er in den 1990er Jahren unmissverständlich klar: Entweder hören die ›Sieg‹-Rufe auf – oder es geht nach dem Abpfiff kein Spieler mehr zu den Fans in die Kurve. Ergebnis: Das Gegröle verstummte« (via lizaswelt.net).
Wir hoffen, dass ihr alle den gestrigen Abend gut überstanden und ausgelassen gefeiert habt. Mit Blick auf die nächsten Wochen gilt es ab morgen wieder den Ball flach zu halten – die nächsten Spiele gegen Nürnberg und Stuttgart für den Klassenerhalt ebenso wichtig wie das Nordderby.
Fotos: Grober Schnitzer / Flickr. Danke!
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Ist das wirklich euer Ernst? Pyro zu kritisieren aber das dann zu verpacken über die Form („Leuchtrakete […] aufs Spielfeld“, „bei einem Heimspiel[!!!eins11]“)? Wenn ihr Pyro(-fans) scheiße findet, dann seid doch auch so redlich und schreibt das, aber fallt nicht in diese pseudo-moralische Debatte mit ein.
Was macht es für euch für einen Unterschied, ob Pyro in der Heim- oder Gästekurve gezündet wird und warum? Wegen der Strafen? Spielen diese Beträge, die zwar mittlerweile gerne in die Zehntausenden gehen, denn überhaupt eine Rolle im heutigen Profifußball mit Multimillionenetats?
Ich finde euren Beitrag, auch wenn ihr kein Fass aufmachen wolltet, einfach nur anbiedernd und autoritätenhörig. Was spielt es für uns kritische Fans (diesen Anspruch unterstelle ich euch einfach mal) für eine Rolle, ob womöglich Vertrauen des Vorstands verspielt wurde? In meiner Wahrnehmung spielt dieser Kommentar nur einer forcierten Spaltung der Fanszenen (und zwar von außen an den Logiken des Fußballgeschäfts orientiert und nicht an etwaigen relevanten Reibungspunkten orientiert) und Dämonisierung von Pyro in die Hände.
Es ist doch nicht der Umstand kritisierenswert, dass Leute etwas kriminalisiertes Tun, sondern dass ihr Tun kriminalisiert ist, aufgrund von Argumenten die durchsichtiger und realitätsferner schwer sein könnten.
Und zu dem „Sieg“-Gerufe: Über Geschmack lässt sich nicht streiten, und natürlich sollte sich Jede*r in der Kurve wohlfühlen. Aber den – zugegebenermaßen – sehr martialischen Support durch die Möglichkeit der Ergänzung eines „Heil“s abzulehnen, halte ich für Problematisch.
Erstens dachte ich, dass es gerade bei Werder kein Problem sein sollte, solche Leute achtkantig aus dem Block zu befördern. Zweitens heißt die Abwesenheit der Sieg-Rufe nicht die Abwesenheit von Hitlergruß-Krakeelern (siehe Schweigeminute scheißHSV-BVB) und: Drittens begibt man sich dann in eine Euphemismus-Tretmühle; der*die Nächste fühlt sich generell durch einen etwas „aggressiveren“ Supportstil „unwohl“ und am Ende bleibt dann noch ein „Schalala-Ohohoh-Werder-Strophe 1-Strophe 6“ übrig?!
Lieber »Schlaufuchs«,
schön, dass Du Deine eigenen Kausalitäten so offen zur Schau stellst. Leider greifen sie nicht – hier steht der Pyro-Nummer nämlich gar niemand pauschal ablehnend gegenüber. Gar nicht. Ich persönlich verstehe sogar, dass Teile der Szene bei dem (medial hochgepushten) 100. Bundesliga-Nordderby das Bedürfnis nach ’nem Ausrufezeichen verspürten. Und dass man die Aktion als Sonderfall betrachten sollte (wie es der Verein ja übrigens auch tat; von dem könntest Du Dir in puncto Gelassenheit übrigens mal ’ne Scheibe abschneiden…). Die Leuchtspur auf dem Platz war aber scheiße. Und das so zu sagen lassen wir uns nicht nehmen – auch nicht von noch so »kritischen« Fans.
Ich finde das Vertrauen (wie übrigens weite Teile der aktiven Fanszene) des Vorstands übrigens schon wichtig, weil es in der Vergangenheit Kompromisse und Zugeständnisse ermöglicht hat, von denen andere Kurven nur noch träumen können. Ganz zu schweigen von der Fanbetreuung, die sicherlich nicht zu knapp einstecken musste.
Und: das »Sieg«-Stakkato ist uns auch ohne anschließendes »Heil« unangenehm genug.
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