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Leichtigkeit und Schwere

In seinem sehr kurzen FAZ-Essay »Der Fußball« skizziert Niklas Luhmann 1990 den Sport als das Paradebeispiel einer von Italo Calvino eingeführten Unterscheidung. Dieser hatte in der ersten Vorlesung seiner Lezioni Americani das Gegensatzpaar von Leichtigkeit und Schwere (leggerezza und pesantezza) als analytisches Instrument zur Beschreibung des neuen Jahrtausends vorgeschlagen. »Mehr als irgendeine andere Spezialität der Moderne«, schreibt Luhmann im Anschluss, »eignet [sich der Fußball] dazu, die Einheit von Leichtigkeit und Schwere zu symbolisieren.«

»Dass wir heute nicht gewonnen haben, lag an unserem Spiel nach vorne, defensiv war das okay.«Aaron Hunt
»Fußball ist manchmal nicht fair. Ich fühle mich beraubt.«Eljero Elia

Schneetreiben

Abb.1: Schneetreiben im Weserstadion

Dem SV Werder fehlte beim gestrigen Rückrundenstart im heimischen Weserstadion jegliches Anzeichen einer solchen Einheit. Im Gegenteil: Gegen den Tabellenletzten aus Braunschweig konnte zwar die Null gehalten werden, aber offensiv und spielerisch zeichnete sich das Spiel vor allem durch die Abwesenheit von Leichtigkeit aus. Man ist als geneigter Fan um Ausreden und halbseidene Erklärungen nicht verlegen und mag daher versucht sein, diesen Eindruck auf die physikalischen Bedingungen von zehn Grad minus im frostigen Weserstadion zuzurechnen; aber das reicht nur bedingt hin, um die Schwere des Auftretens der Grünweißen zu begründen. Kann den Unparteiischen eine Teilschuld attestiert werden? Nein. Es muss zwar als Ironie des Schicksals begriffen werden, dass das zaghafte Aufscheinen von spielerischer Leichtigkeit zu Beginn der zweiten Hälfte durch die schlechte Leistung des Schiedsrichtergespanns um Dr. Felix Brych zunichte gemacht wurde, als in der 59. Minute ein durch Zlatko Junuzovic mustergültig vorbereitetes Tor von Eljero Elia aberkannt wurde. Und dass damit sogleich das Momentum, das Werder nach der Pause kurzfristig zu nutzen begann, wieder zunichte gemacht wurde (um potentiellen Missverständnissen vorzubeugen: Das soll keine Entschuldigung sein, bitter bleibt es aber allemal – gerade weil die zwei verlorenen Punkte in der Rückrunde noch von immenser Bedeutung sein mögen). Nach Spielende kritisierte Robin Dutt die Fehlentscheidung als »die außerhalb unseres Einflussbereichs sicherlich spielentscheidende Szene« – eine hinreichende Erklärung für die unzureichende Leistung ist die sie sicher nicht (und womöglich fehlte dem Schiedsrichterassistenten gestern auch das nötige Quäntchen Leichtigkeit…).

Man muss konstatieren: Der Mannschaft fehlt spielerische Leichtigkeit, gerade in der Offensive und im Kombinationsspiel. Dass die aussichtsreicheren Torchancen durch Defensivspieler wie Philipp Bargfrede und Santiago García entstanden, mag als zusätzliches Indiz dienen. Unterm Strich bleibt die Hoffnung auf Verstärkung – um die Dialektik von leggerezza und pesantezza perspektivisch wieder produktiv nutzbar zu machen. Bis dahin steht, etwas resignierend, das Fazit kurz nach dem Schlusspfiff: »Ein 0:0 zuhause gegen Braunschweig – Bundesliga, ich habe Dich vermisst. Dachte ich.«

Foto: Tobias Holtkamp.

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