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Postnationale Unfähigkeiten und fleißige Ultras

Den ganzen Text von Uli Krug, »Blindes Grätschen ist nicht mehr gefragt«, gibt es hier: http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web65-3.html

»[…] Dass Deutschland ideologisch sogar seinen Fußball auf Postnationalismus umgerüstet hat, ist bei den Antinationalen und Patriotismuskritischen noch nicht recht angekommen. […] Der Alt-Fan war noch auf den Feind bezogen, der Neu-Fan ist es auf sich. […] Was dieser Nationalismus neuen Typs jedenfalls nicht mehr ist, ist hingegen offensichtlich: Nämlich kein Platzhalter eines nationalsozialistischen Kampfverbandes, als welcher der deutsche Nationalfussball mitsamt seiner klassischen Landserfolklore für viele seiner Anhänger über Jahrzehnte fungiert hatte. Eine Entwicklung, die nicht viel mit gewachsener Einsicht zu tun hat, sondern mit gewachsener Unfähigkeit: Der Unfähigkeit zur Libidoübertragung. […]

Das heißt aber nicht, dass verwandte Formen des öffentlichen Narzissmus immer harmlos ausfallen müssten. Die wahnhafte Verschmelzung von Größenselbst und Gruppenidentität heftet sich jedoch nicht mehr so sehr an das Abstraktum Nation, sondern zielt auf viel näher liegende Identitätsgemeinschaften, oder klar gesagt: Banden. Das Ultra-Phänomen spiegelt im Fußball die Kleinräumigkeit von Restbindung und auch die infantile Neigung, nicht mehr andere, sondern allein sich selbst und maximal andere, die einem aufs Haar wie Klone gleichen, mit Zuneigung zu bedenken; man könnte von einer libidinösen Verengung sprechen, in der Großverbände wie Nationen, Armeen oder Massenparteien keinen Platz mehr finden, sondern maximal ein Block im Stadion. […]
Das ist aber keineswegs zu verwechseln mit dem proletarischen Hooliganismus früherer Jahrzehnte: Der war alles andere als kreativ, der war nur handgreiflich, letztlich eben jene SA-Reserveübung, von der eingangs die Rede war, die zumeist abseits der Kameras auf Parkplätzen und Autobahnraststätten stattfand. Der Wettstreit der Ultras hingegen um die auffälligsten Choreos, die beste Provokation des Gegners, das einschüchterndste Feuerspektakel, den markerschütterndsten Gesang, ist ein getreues Abbild der Präsenz- und Präsentationspflicht auf dem Arbeitsmarkt; ganz betont unpolitisch und scheinbar autoritätskritisch (nicht umsonst ist der Großverband DFB der gemeinsame Hauptfeind aller Ultras), aber engagiert bis in die Haarspitzen. Hier wie da, bei der Arbeit und im Stadion, geht es um Projekte, in die die Einzelnen sich mit Haut und Haar einbringen müssen, um anerkannt und aufgenommen zu werden. Bloßer Konsument eines Fußballspiels darf man nicht mehr sein, sondern Krieger in einem symbolischen Wettbewerb gegen die Krieger des Konkurrenzunternehmens; und schwer wäre zu sagen, ob es sich dabei hauptsächlich um eine Sportifizierung des Arbeitslebens handelt oder, umgekehrt, um eine Ausdehnung des Arbeitskrieges auf die Ränge der Stadien. […]«

Praktisch-pragmatisches Postscriptum:
»[…] Auch in Zukunft werden die Fanmeilen anderen penetranten öffentlichen Langweiler-Aufläufen gleichen wie beispielsweise dem Oktoberfest. Und deshalb sollte das turnusmäßige Sommermärchen, das 2014 mit der WM in Brasilien wieder ansteht, keinesfalls Anlass zu politischer Gegenagitation geben. Denn sie verfehlt ihren Gegenstand völlig, ja, sie macht sich mit aller Gewalt dumm, nur um billigen Distinktionsgewinn zu ziehen. […]«

Edit: Zum Textarchiv »Für mehr modernen Fußball«
(Überblicksseite über sämtliche Artikel zum Thema).

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