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»… or you’ll sink like a stone«

weserstadion

»Come gather ’round people
Wherever you roam
And admit that the waters
Around you have grown
And accept it that soon
You’ll be drenched to the bone
If your time to you is worth savin’
Then you better start swimmin’ or you’ll sink like a stone
For the times they are a-changin’
«
– Dylan

Wenn es um Fußball und Fußballdinge geht, fehlt mir in der Regel das Verlangen, den daraus entstehenden Kummer in Worte zu fassen. Das hat Nick Hornby erschöpfend getan. Ebenso fehlt mir der Drang, Frustration in Taten kanalisieren zu müssen (Klassiker: das demonstrativ-frühzeitige Verlassen des Stadions, das Auspfeifen der Mannschaft, das öffentliche Fordern des Rücktritts von Trainern, Gewalt gegen Dinge etc.). Doch die basale Irrationalität des Fanseins – das fortwährende Verschwenden von Stunden, Tagen, Wochen, Monaten und Jahren an eine Sache, auf die man nur sehr begrenzten Einfluss hat – fordert an Samstagen wie gestern ihren Tribut: Auch am dritten Spieltag der Rückrunde bleibt der SV Werder Bremen ohne Sieg. Der BVB Dortmund dominiert die Partie im Weserstadion nach Belieben, findet immer und überall Räume und Anspielstationen und kann offenbar jederzeit einen Gang hochschalten, um die eigene Überlegenheit überdeutlich hervortreten zu lassen. Klar: Man hätte das ahnen (oder sogar wissen) können.

»Wir müssen endlich die Balance zwischen Offensive und Defensive finden;
wenn wir das nicht schleunigst hinbekommen, dann kann es sehr eng werden.«

– Thomas Eichin

Aber gegen jede Evidenz und mit beängstigender Regelmäßigkeit tritt Woche für Woche eine ähnliche Formkurve pathologischen Wunschdenkens auf: die Niedergeschlagenheit des Spieltags mündet (mal mehr, mal weniger) in therapeutischem Lesen und Schreiben zum Anfang der Woche; zur Wochenmitte, wenn Werders Fußball so weit weg ist wie irgendwie möglich (man spielt ja nicht international), normalisiert sich das Niveau kurz auf der Höhe der allgemein akzeptierten Realität; um dann gegen Ende der Woche und begleitet von positiver Nervosität Raum zu machen für die irrationale Hoffnung auf einen (wie auch immer gearteten) Erfolg am nächsten Spieltag. »Ich bin halt Fan«, fasste Lars vom Werderblog das Dilemma im letzten Grün-Weiß-Podcast in vier Worten zusammen.
Man arrangiert sich mit der Tatsache, dass Top-Mannschaften nicht zu schlagen sind, hofft auf ein Unentschieden oder wenigstens erkennbaren Kampfgeist. Und auf ein, zwei schöne Spielzüge während der nächsten neunzig Minuten – der Kampf gegen das Schicksal (Relegation, Abstieg) nimmt dramatische Züge an, im wahrsten Sinne des Wortes. Man hofft auf ein Licht am Ende des Tunnels – aber Werder scheint andere Pläne zu haben. Und wenn man also schon fast nichts mehr erwartet vom Fußball, brechen die Dinge völlig auseinander: Es hagelt Gegentore und Defensive findet nicht statt. Im Gegenteil, neue Probleme gesellen sich zu den bekannten hinzu: »Auf Seiten von Werder Bremen ergaben sich wieder Stabilitätsprobleme, die zum Ende der Hinrunde in dieser Form nicht vorhanden waren. […] Trainer Dutt torkelt weiterhin zwischen Instabilität und offensiver Einfallslosigkeit« (Spielverlagerung). Mit 45 Gegentoren hat derzeit nur noch der Hamburger SV eine schlechtere Bilanz zu vermelden – und auch das eignet sich kaum noch als Trost. Durchhalteparolen und Kampfansagen der Vereinsführung verblassen als hohle Phrasen. Seifenblasen zerplatzen. Ich verstehe sogar irgendwie, wenn sich Kummer, Ohnmacht und Verzweiflung Kanäle suchen (bei den in Anbetracht der Leistung des eigenen Vereins seltsam deplaziert wirkenden Schmähgesängen gegen den HSV handelte es sich um so ein Phänomen). Ich kann nachvollziehen, dass sich andere Werder-Blogger »Aus Selbstschutz« in die selbstgewählte Fußball-Isolation begeben. Und vielleicht ist der Pathos hier auch bloß sublimierte Aggression (und der latente Pessimismus nur eine besonders perfide Variante des Optimismus).

»Wenn man sich 40 Punkte als Ziel gibt in der Saison,
dann ist es normal, dass man mehr Leid als Freud hat.«
– Robin Dutt

Die allgegenwärtige Verunsicherung hat ihren Preis: Die Stimmung kippt – in der Mannschaft und auf den Rängen. Und doch kriegen die Fans der Grün-Weißen noch immer die Kurve (anders als in anderen Hansestädten, wie man leider hören und lesen muss). Ganz sicher war neben dem Debüt-Tor Levent Ayciceks in der 89. Minute der hellste Moment des Spiels jener, als kurz vor Ende der Partie beim Stand von 0:5 die Anhänger des SV Werder aufstanden und mit einer Mischung aus Trotz und Verzweiflung »Steht auf, wenn ihr Bremer seid!« skandierten. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht mir nicht um ein Plädoyer für gesteigerte Irritationsresistenz und das bewusste Ignorieren von Realitäten. Im Gegenteil, die Lage ist ernst und der Wasserpegel steigt. Die Augen davor zu verschließen wäre gefährlich. Aber die Unterstützung, die der SV Werder zuletzt immer wieder von den Rängen und darüber hinaus empfing, ist ein kostbares Gut. Und diese Unterstützung war es auch, die Robin Dutt nach Spielende offensiv einforderte: »Wir brauchen die Unterstützung der Fans. Ich glaube, dass ist hier der entscheidende Unterschied zu den anderen Mannschaften.«

Auf drei Punkte im Spiel gegen Gladbach – ALLEZ LES VERTS!

Foto: Benjamin Radzun (Flickr, cc-Lizenz).

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