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The strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde


vier-zu-zwei

»Die Fans sind sehr wichtig für uns. Heute waren sie extrem laut, haben uns auch über schwierige Phasen hinweggeholfen. Das war sehr beeindruckend.«
Raphael Wolf

»I learned to recognise the thorough and primitive duality of man; I saw that, of the two natures that contended in the field of my consciousness, even if I could rightly be said to be either, it was only because I was radically both.«
– Robert Louis Stevenson

Nüchtern betrachtet war vor dem Spiel gegen Borussia Gladbach nicht viel zu erhoffen oder gar zu erwarten gewesen – selbst für pathologische Wunschdenker wie uns. Bestenfalls bestand Hoffnung darauf, irgendwie mit einem blauen Auge davonzukommen und dabei nicht allzu blöd auszusehen. Man ist bescheiden geworden, dieser Tage und »arrangiert sich mit der Tatsache, dass Top-Mannschaften nicht zu schlagen sind, hofft auf ein Unentschieden oder wenigstens erkennbaren Kampfgeist. Und auf ein, zwei schöne Spielzüge während der nächsten neunzig Minuten«. Das schrieben wir letzte Woche, mit Blick auf die Partie gegen Gladbach.

The Good, the Bad and the Ugly

Und es sah auch am Samstag zunächst nicht danach aus, dass man den Gästen ernsthaft die Stirn bieten könne. Über die erste Halbzeit sollen gar nicht viele Worte verloren werden: Sie war zum Vergessen. Einzig Assani Lukimyas desaströser Fehlpass in der sechsten Minute wird wohl so schnell nicht vergessen werden – denn er gereichte Gladbachs Raffael zur maßgeschneiderten Torvorlage und Werder zum frühen Rückstand.
Robin Dutt reagierte noch während der ersten Halbzeit und nahm den ebenso überforderten wie sichtlich geschockten Innenverteidiger nach 26 Minuten vom Platz. Die Stimmung im Weserstadion drohte zu kippen und zur Halbzeitpause hallten – wie auch schon bei der Auswechslung Lukimyas – deutliche Pfiffe durchs Rund (auf die Unsitte, nervöse Spieler durch offen kommunizierte Ablehnung noch weiter zu verunsichern, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden). Von den Rängen wurde gepöbelt und nachdem mit Lukimya der Sündenbock den Platz verlassen hatte, wurde Cedric Makiadi zur Zielscheibe des Frusts. Weder Mannschaft noch Fans gaben in der ersten Halbzeit ein überzeugendes Bild ab. Und dass die Partie nicht schon früh in einem kompletten Debakel endete, ist wohl vor allem der unzureichenden Chancenverwertung der Borussia zuzurechnen.

Gefühlter Sieg

»Im zweiten Durchgang haben wir das sehr gut gemacht. Da haben wir Druck ausgeübt, sind zu Chancen gekommen und die Fans waren auch wieder voll da. Das hat uns gepusht.«
Philipp Bargfrede

jubeln

Abb. 1: Jubel.

Trotzdem sollte die Geschichte und damit auch dieser Artikel ein versöhnliches Ende nehmen: Denn sowohl die Mannschaft als auch das Publikum waren nach der Halbzeit wie ausgewechselt. Was zuerst da war? Keine Ahnung. Das ist wohl eine Variation der berühmten Frage nach der Henne und dem Ei – bestenfalls war die veränderte Stimmung das Resultat einer glücklichen Symbiose, der Synchronität der Leistungen auf dem Platz und auf den Rängen. Sowohl die Mannschaft als auch die Fans nahmen nun offensichtlich den Kampf an; erstere spielerisch, letztere akustisch. Beides war harte Arbeit. »Allez! Forza SVW!« hallt es nun fortwährend durchs Stadion. Und Werder beginnt Fußball zu spielen: Felix Kroos bringt Ruhe in die Viererkette und beweist, dass seine Einsätze als Innenverteidiger in der U23 nicht umsonst waren. Wie eigentlich nicht anders zu erwarten sucht und findet Aleksandar Ignjovski unermüdlich seine Gegenspieler (und hat sich mit 22 gewonnenen Zweikämpfen einen Startplatz für die nächsten Spiele verdient). Raphael Wolf verhindert dank großartigem Reflex den Torabschluss durch Gladbachs Patrick Herrmann in der 57. Minute. In der 78. Minute ist es Zlatko Junuzovic, der durch beherztes Einsteigen in letzter Sekunde das 0:2 durch Raffael verhindert. Werder drängt nun auf den Ausgleich und die Ostkurve wird noch einmal lauter. Als Ludovic Obraniak (nach einem Foul von Julian Korb an Junuzovic) in der 88. Minute den Ball mit links ins Toreck schlenzt, gibt es kein Halten mehr: Taumel, Tränen, Endorphine! Wildfremde Menschen liegen sich in den Armen. Ein Traumtor! Und es ist kurz vor Ende der Partie noch einmal Raphael Wolf, der mit einer grandiosen Parade gegen Max Kruse in der 89. Minute den hart erkämpften Punkt rettet.
Nach Abpfiff ist klar: Das war ein gefühlter Sieg. Für die Mannschaft, für die Fans. Stadion-DJ Arnd Zeigler spielt »Wonderwall«. Wir taumeln aus dem Stadion.

»And all the roads we have to walk are winding
And all the lights that light the way are blinding.«

kurve

Abb. 2: Ostkurve.

Man mag von den zwei Halbzeiten halten, was man will. Man mag sich an Stevensons »Dr. Jekyll und Mr. Hyde« erinnert fühlen, man mag der Mannschaft Schizophrenie attestieren. Oder den Fans. Oder beiden. Unterm Strich war das gestern das Engagement, das Robin Dutt sich wünschte, als er nach dem Spiel gegen Augsburg vehement Wettkampfmentalität einforderte. Und es war der Beweis dafür, dass Fußball eben jener Kontext ist, in dem das vermeintlich bloße Zuschauen ein aktives Tun wird – so dass der Erfolg eines hart erkämpften Unentschiedens der gemeinsame Erfolg von Spielern UND Fans ist.

Postscriptum.

»Ich bin heute zwangsläufig zufrieden, weil man die Leistung der gesamten Mannschaft anerkennen muss. Aber im Nachhinein muss man auch sagen, dass ein Punkt im Heimspiel eigentlich zu wenig ist.«
– Ludovic Obraniak

Weserstadion

Abb. 3: Weserstadion (the day after).

Nüchtern betrachtet hat Obraniak Recht. Mittelfristig kann es dem eigenen Anspruch nicht genügen, zu Hause einen Punkt wie einen Sieg zu feiern. Im Hinblick auf eine zu erwartende Niederlage war es aber genau das: ein gefühlter Sieg. Es lohnt sich aber nicht, sich auf diesem auszuruhen. Im Gegenteil: Jetzt gilt es, die Energie aus der zweiten Halbzeit in die nächsten Partien mitzunehmen und um das Spiel gegen Gladbach damit ex post zu einem Wendepunkt in dieser Rückrunde gemacht zu haben: »Ab dem nächsten Spieltag beginnen die Wochen der Wahrheit«, schreibt Stephen im Papierkugel-Blog. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Und weil Fußball an solchen Wochenenden auch endlich mal wieder Spaß macht, erlebten wir am Sonntag noch einen Doppelsieg von Werders U19 (4:0) und U17 (2:1) gegen den Nachwuchs des FC St. Pauli. Auch das macht Hoffnung. In diesem Sinne: Allez les Verts!

Fotos: Wellenbrecher, eigene Fotos.

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