»Drei Werderfans treffen sich in Hamburg und beschließen ein Blogprojekt zu starten, das ›vert et blanc‹ getauft wird. Es entsteht ein frankophiles Blog, dessen Autoren sich sowohl den Geschehnissen rund um den SV Werder Bremen als auch grundlegenden Reflexionen über den ›Modernen Fußballs‹ verschrieben haben. Und das mit wachsendem Erfolg bei den Leserinnen – bis hin zur Produktion eigener Fanartikel, die niemand Geringeren als Johan Micoud zelebrieren.«
Vor zwei Wochen haben wir uns mit der französischen Journalistin Sophie Serbini unterhalten, die für das Fußballmagazin ›sofoot.com‹ schreibt. Wir sprachen über unser Blog, Werder Bremen und natürlich über Johan Micoud. Sophie hat auf Basis des Interviews einen Artikel veröffentlicht, den wir hier auf Nachfrage in Übersetzung veröffentlichen. Dazu gibt es, – als extended version quasi–, ein paar weitere Auszüge aus dem Gespräch, die nicht in den französischen Artikel eingeflossen sind.
So Foot: Hamburg, die zweitgrößte Stadt Deutschlands. Man assoziert sie mit dem Hafen, dem Elbstrand, Rotlichtbezirken und zwei markanten Clubs auf Deutschlands Fußballlandkarte. Es hat den Anschein, als unterstütze hier jeder einen der beiden lokalen Vereine, den HSV oder den FC St. Pauli. Jeder? Nein. Drei Zugezogene widersetzen sich Hamburgs Wahlmöglichkeiten, ihr Team heißt Werder Bremen – ausgerechnet der erklärte Erzrivale des HSV. Auf feindlichem Terrain für alles Grün-Weiße beschlossen die Drei ein Werder-Blog zu starten. Die erste Frage: Wie kam es dazu?
»Was uns einte, war die Sympathie zur Werder Bremen. Und die Tatsache, dass wir in der ›falschen‹ Hansestadt lebten, in Hamburg. Wir kommen ursprünglich alle mehr oder weniger aus der Nähe von Bremen und zogen aus unterschiedlichen Gründen nach Hamburg und begannen, Spiele zusammen zu gucken. Aus einer Laune heraus entstand ›vert et blanc hambourg‹ – eine Art Fanclub, allerdings nicht in offizieller Form. Vereinsmeierei mit Satzung und Statuten ist uns eher fremd. Wir bevorzugen den Ausdruck ›freie Assoziation‹, um es mit Karl Marx zu sagen.«
So Foot: Wie seid Ihr denn überhaupt zu Werder gekommen?
»Drei Menschen, drei unterschiedliche Geschichten – die aber auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind: Man sympathisiert ja bereits in der Schulzeit mit dem einen oder anderen Verein. In den frühen Neunzigern war das bei uns geographisch halt Werder Bremen, damals unter Otto Rehhagel. Aber mit Fandasein im engeren Sinne hatte das noch nicht viel zu tun. Anfangs sahen wir in Hamburg auch das eine oder andere Spiel am Millerntor, aber es gab immer eine Verbindung nach Bremen. Ein ernsthafter Höhepunkt war auf ganz unterschiedliche Art für uns alle die glorreiche Saison 2003/04, als Werder sowohl die Meisterschaft als auch den Pokal gewann. Das waren aufregende Zeiten, ganz Bremen befand sich in einem Ausnahmezustand. Werders Spielweise war damals ihrer Zeit voraus: Thomas Schaaf ließ packenden Offensivfußball spielen und (nicht zu letzt dank Johan Micoud) das, was man später ›one-touch-football‹ nennen sollte.«
So Foot: Wann und wie seid Ihr dann auf die Idee gekommen ein Blog zu starten?
»Wir begannen mit dem Schreiben eigener Texte vor gut drei Jahren, als die Dinge in Bremen kompliziert waren, kritisch sogar. Werder konnte sich nicht mehr für europäische Wettbewerbe qualifizieren und das Gehaltsgefüge des Clubs verschob sich. Der Verein konnte die Löhne der erfolgreichen Jahre nicht mehr aufbringen. Zusätzliche Mehrbelastungen entstanden durch den Ausbau des des Weserstadions, der sich als kostspieliger herausstellte als anfangs angenommen. Der Verein musste sich einem radikalen Umbruch stellen, der sich häufig genug wie ein Teufelskreis anfühlte: der mangelnde Erfolg zog finanzielle Schwierigkeiten nach sich, diese zwangen die sportliche Leitung zum Verkauf ihrer Leistungsträger, dem so dezimierten Kader gelang es nicht auf dem Niveau zu spielen an das man sich in Bremen nach der erfolgreichen Saison von 03/04 gewöhnt hatte – und all das führte zu neuen finanziellen Defiziten. Werder sah sich plötzlich mit einem möglichen Abstieg aus der ersten Liga konfrontiert – als ein Club, der ein paar Jahre zuvor noch in der Champions League spielte! Die Vereinsführung, Spieler und nicht zuletzt die Fans mussten mühsam eine neue Art der Bescheidenheit erlernen, was am Anfang schwer zu verstehen und ebenso schwer zu vermitteln war. Vielleicht waren diese Schwierigkeiten ein unbewusster Antrieb für unser Blogprojekt? Nicht zufällig hieß eine unserer frühesten regelmäßigen Rubriken ›Therapeutisches Bloggen‹… Wir hatten keine Ahnung, wie und wo das alles enden würde – weder für den Verein noch für unsere völlig unbekannte Seite. Wir verspürten nur den plötzlichen Impuls irgendetwas zu tun.«
So Foot: In der Folgezeit diversifizierten sich die Inhalte Eures Blogs, der vielgescholtene »Moderne Fußball« und die Kritik daran ist neben Berichten aus Bremen ein weiteres regelmäßiges Thema bei »vert et blanc«.
»Da lohnt sich gegebenenfalls ein zweiter Blick: Es gab und gibt ja eine ganze Reihe lesenswerte Werder-Blogs da draußen (wie man übrigens mit Blick auf die Seite ›Hashtagmafia‹ sehen kann). Neben dem grün-weißen Kerngeschäft beschäftigen wir uns in unseren Artikeln mit Populär- und Fußballkultur im weitesten Sinne. Wir sind alle politisch interessierte Menschen, also werfen wir immer auch mal einen Blick auf Themen wie Sexismus, Homophobie und besonders auch Antisemitismus. Letzterer ist in seiner strukturellen Form leider regelmäßig Thema bei einem zweiten inhaltlichen Schwerpunkt unserer Arbeit, der regressiven Kapitalismuskritik. Diese erfreut sich in Deutschland hoher Popularität, in der politischen Linken ebenso wie bei der Rechten. Historisch betrachtet gibt es hier seit jeher eine starke traditionalistische Tendenz, mit einer romantisierenden Haltung zur Kultur im Allgemeinen und zur Fußballkultur im Speziellen. Diese Rückwärtsgewandtheit kulminiert für uns im schalen Slogan ›Gegen den modernen Fußball!‹, der gleichzeitig immer auch etwas Selbstentlarvendes besitzt. Wir bevorzugen einen differenzierteren Blick auf dieses Phänomen und die dabei involvierten Attitüden. Und beobachten die Debatte mit einer Art ›Meta-Kritik‹, also einer Kritik an der (Form der) Kritik. Damit machen wir uns nicht notwendig Freunde und immer wieder stößt dieser Anspruch auf Unverständnis. Um es deutlich zu sagen: Wir feiern keineswegs alle Begleiterscheinungen des ›Modernen Fußballs‹. Aber wir sind durchaus auch froh, dass sich in den letzten Jahrzehnten Dinge verschoben haben. So ist es in der Ostkurve des Weserstadions für Neonazis inzwischen relativ unmöglich, ihre Ideologie offen zur Schau zu stellen.«
»Par amour du Chef«
So Foot: Ein Ergebnis ist, dass »vert et blanc« gerade aufgrund der weiter gefassten Themenwahl auch jenseits des grün-weißen Tellerrands Leserinnen findet und inzwischen zu einer relevanten Institution der deutschsprachigen Fußballbloglandschaft geworden ist. Aber auch jenseits inhaltlicher Arbeit im Netz wurde man in Hamburg aktiv. Ihr habt irgendwann begonnen, Aufkleber und T-Shirts mit Designs aus Eurem Blog anzubieten. Wie kam es dazu? Und: Funktioniert das?
»Als die Seite wuchs realisierten wir: die Leute lesen unseren Kram wirklich. Wir haben von Anfang immer auch Wert auf eine ansprechende Grafik gelegt und erhielten regelmäßig Zuspruch für unsere Illustrationen. Irgendwann beschlossen wir, ein paar davon als Sticker zu drucken – anfangs nur für uns selbst. Sie waren recht schlicht gehalten, mit Slogans wie ›Hamburg ist grün-weiß‹ (auch in französischer Sprache, ›Hambourg est vert et blanc‹) oder ›Still ♥’ing Micoud‹. Sie fanden rege Nachfrage, darum beschlossen wir höhere Stückzahlen zu drucken und die Kleber zum Selbstkostenpreis an Interessierte weiterzugeben. Ehrlich gesagt ist das ’ne Menge Arbeit, die wir nach Feierabend erledigen. Wir sind immer und immer wieder nach T-Shirts gefragt worden, aber uns war allen klar, dass wir das nicht mal so im Vorbeigehen erledigen können: Einkauf, Druck, Versand, Reklamationen etc. – also setzten wir letztes Jahr einen kleinen Onlineshop auf, der das für uns erledigt. Und sich das übrigens auch gut bezahlen lässt. Unterm Strich machen wir keinen Gewinn mit der Sache; aber wir versuchen auch keine Verluste zu machen. Das klappt mittlerweile ganz gut, die Antwort lautet also: ›Ja!‹ – am Ende bleibt die ganze Angelegenheit aber ein idealistisches Projekt…«
So Foot: Eure Shirts und Sticker kann man mittlerweile in ganz Europa entdecken. Das populärste Motiv ist unzweifelbar Eure Hommage an Johan Micoud – ein sehr einfacher aber dafür besonders effektiver Entwurf. Könnt Ihr ein wenig von Eurer Liebe zu Jo Micoud berichten? In Frankreich ist er immer noch sehr beliebt, obwohl er nicht zuletzt wegen Zidane nie eine große Rolle in der Équipe spielte.
Ich hatte bis vor Kurzem keine Ahnung, dass er auch in Deutschland noch immer so viel Bewunderung erfährt. Als Toni Kroos vor einiger Zeit nach seinem fußballerischen Vorbild gefragt wurde und Micoud nannte waren die Leute in Frankreich sehr überrascht…
»›Le Chef‹ ist eine Legende in Bremen. Wir lehnen uns wahrscheinlich nicht zu weit aus dem Fenster wenn wir behaupten, dass neun von zehn Fans sagen würden, dass er der größte Fußballer war, der jemals ein Werdertrikot trug. Wann immer Micoud zu Gast im Weserstadion ist, gerät die Kurve in Euphorie. Die Leute stimmen den Beatles-Song ›Hey Jude‹ mit seinem Namen im Refrain an – allein der Gedanke daran verursacht ’ne Gänsehaut! Micouds Name ist untrennbar verbunden mit dem wunderbaren Aufblühen des Vereins vor einem guten Jahrzehnt. Er war nicht nur irgendein Spielmacher mit der Nummer 10 auf dem Trikot, ›Le Chef‹ war ein Künstler mit einem Ball. Gerade von Leuten ohne tiefere Fußballkenntnisse werden wir immer mal wieder gefragt, was es denn mit diesem Micoud auf sich habe. Wir haben uns angewöhnt zu antworten, dass Johan Micoud ein bedeutender französischer Avantgarde-Regisseur war – und verantwortlich für einige der besten Filme unseres Lebens.«
So Foot: Habt Ihr ihn mal getroffen? Was sagte er zu Eurem Merchandise? Fühlte er sich geehrt?
»Oh, da musst Du Johan selbst fragen… (lachen) Bremen ist eine übersichtliche Stadt, natürlich hat man Micoud da auch mal gesehen. Aber wir respektieren die Privatsphäre von Werders Spielern – und außerdem war das ja lange vor dem Start unserer Seite. Wir baten letztes Jahr unseren Stadionsprecher, Arnd Zeigler, ihm im Rahmen von Aíltons Abschiedsspiel ein T-Shirt und ein paar Sticker zu überreichen (und tatsächlich erinnerst Du uns daran, dass wir ihm zeitnah ein weiteres Shirt schicken sollten!). Johan weiß um die Sympathie, die Werders Fans nach wie vor für ihn hegen. Vor einigen Monaten bezeichnete er die Zeit in Bremen als ›seine beste Zeit überhaupt‹ – nun ja, diese Einschätzung basiert auf Gegenseitigkeit!«
#stilllovingmicoud Danke zu alles!!Very happy to see all those stickers.My best time ever.I will never forget you..
— Johan (@jomicoud) 3. März 2015
»Allez les Verts!«
So Foot: Als die drei Vertblancs ihr Blogprojekt in Angriff nahmen, befand sich Werder im freien Fall. Seitdem ist viel geschehen, heute klopft der Verein sogar wieder an die Tür zum europäischen Wettbewerb. Lasst uns abschließend also noch einmal über das Werder Bremen von heute sprechen. Was haltet Ihr von Viktor Skripnik und seiner Arbeit? Wird Werder Bremen mit seiner Hilfe in absehbarer Zukunft wieder zum Glanz vergangener Tage zurückfinden?
»Wie schon angedeutet waren die letzten Jahre nicht die einfachsten für all jene, die es mit Werder halten. Nach der Entlassung Thomas Schaafs stand man gefühlt vor einem Trümmerhaufen. Sein Nachfolger, Robin Dutt, war nicht in der Lage den sportlichen Niedergang aufzuhalten. Darum beschloss die Vereinsführung Ende letzten Jahres die Beförderung Viktor Skripniks vom Trainer der U23 zum Cheftrainer der ersten Mannschaft. Aber diese Geschichte ist natürlich größer: Viktor war aktiver Spieler der legendären Double-Mannschaft. Er ist Teil der vielzitierten Familie und Vertreter der fußballerischen Werder-Philosophie: Offensivem Fußball. Das hat er schon während seiner Zeit mit Werders Nachwuchsteams unter Beweis gestellt. Metaphorisch gesprochen war seine Berufung eine Art Eigenbluttherapie für den Verein. Das Bremer Publikum hat ihn sofort ins Herz geschlossen; und seine Assistenten ebenso (einer davon ist Torsten Frings, seines Zeichens eine weitere Legende des Vereins). Die Rückrunde startete mit fünf Siegen in Folge prächtig und statt um den Klassenerhalt spielt man heute um den Qualifikationsplatz für den Europapokal. Ob man zum Glanz vergangener Tage zurückfindet? Vielleicht. Das wünschen sich natürlich alle. Aber etwas Anderes ist in der aktuellen Lage viel bedeutsamer: Werder musste auf die harte Tour lernen, dass die fetten Jahre vorbei sind. Und dass man sich besser wieder auf alten Bremer Tugenden berufen sollte – diese Botschaft scheint angekommen zu sein. Im Verein und auf den Rängen.«
So Foot: Wie würdet Ihr diese Tugend beschreiben?
»Werder gehört in finanzieller Hinsicht nicht zu den Schwergewichten der Liga. Daher mussten hier schon immer andere Lösungen gefunden werden. Von entscheidender Bedeutung war Kreativität bei der Entdeckung und Entwicklung vielversprechender Talente. In der Schaaf-Ära waren das etwa Miroslav Klose, Mesut Özil, Diego, Aílton, Ivan Klasnić, Per Mertesacker oder Claudio Pizarro. Und nicht zuletzt natürlich Micoud, dessen stagnierende Karriere in Bremen noch einmal rasante Fahrt aufnahm.
So Foot: Hand aufs Herz – wie geht es also weiter?
Werder wird in absehbarer Zukunft hoffentlich nicht wieder über seine Verhältnisse leben. Wir persönlich sind vorsichtig optimistisch oder, – um es frei mit einer großartigen schottischen Band zu sagen: ›We’re moving on up now!‹.
Werder ist wieder am Ball. Wir bleiben es auch!«
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