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Verpasste Chancen

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»I’ll take you down the only road I’ve ever been down.
Have you ever been down?«
The Verve

»Es hat die Körpersprache und der Einsatz gefehlt.«
– Viktor Skripnik

Werder verliert gegen den FC Ingolstadt. Und damit ein Spiel, bei dem allen Beteiligten von Beginn an klar war, dass es ein schweres werden würde. Und schwer wurde es: der Aufsteiger präsentierte sich als extrem unangenehmer Gegner. Die Gäste waren ab der ersten Minute bemüht Spielfluss überhaupt erst gar nicht aufkommen zu lassen. Viele kleine Nickeligkeiten, Provokationen und Zeitverschleppungen durchzogen die Partie. Ingolstadt spielte dreckig. Ingolstadt spielte clever. Und Ingolstadt spielte am Ende erfolgreich. Umgekehrte Spielfeldpsychologie, quasi. Für Werder endet eine Woche der verpassten Chancen damit folgerichtig.

Denn der Mannschaft gelang es am Samstag weder fußballerisch noch mental mit der Spielweise der Gäste klarzukommen. Man könnte jetzt über Umschaltmomente und verpasste Torchancen räsonieren. Man könnte das offensichtliche Fehlen Zlatko Junuzovićs und die erneute spielerische Ratlosigkeit beklagen. Es wäre einfach, das mannschaftsschädigende Verhalten einzelner Spieler in der Nachspielzeit anzuprangern – ein Verhalten, für das es einerseits keine Entschuldigung gibt. Das andererseits aber auch nicht im luftleeren Raum entsteht: Assani Lukimyas überflüssiges Textilvergehen und das durch keinen Frust der Welt zu rechtfertigende rohe Spiel Phillip Bargfredes waren am Ende aber nur die Spitze des Eisbergs.
Fakt ist, dass es Werder in neunzig Minuten nicht gelang, Kontrolle über die Partie gegen den Aufsteiger aus Ingolstadt zu erlangen. Ohne esoterische Konnotationen heraufzubeschwören lässt sich resümieren: Am Samstag schlug das Karma zurück. Werder kassierte die sportliche Quittung für eine Woche voller falscher Entscheidungen.

Wo man steht

feuerwehr

Ohne die Diskussion erneut aufmachen zu wollen: Wir bedauern die Entscheidung dass Werder jüngst die Zusammenarbeit mit Wiesenhof als Haupt- und Trikotsponsor bis ins Jahr 2017 verlängerte. Daran ändert auch das pragmatische Argument der fehlenden Alternative oder der in dieser Frage unzuverlässige Hinweis auf die Finanzspritze des Unternehmens im Zuge des Pizarro-Transfers (mutmaßlich EUR 120.000,- zum Gehalt) nichts. Den schlussfolgerndern Übergang vom Faktischen zum vermeintlich Gebotenen, mithin vom Sein zum Sollen, bezeichnet man nicht umsonst als naturalistischen Fehlschluss.
Fast schlimmer wiegt aber die Entscheidung des Vereins, sich zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht gegen die Teilnahme an der PR-Kampagne eines großen, deutschen Boulevardblatts entschieden zu haben. Entgegen entsprechender Aufrufe aus Werders Fanszene  verpasste der Verein am Wochenende die Chance, in Fragen gesellschaftlichen Engagements konsequent Position zu beziehen. Stattdessen publizierte man eine inhaltlich inkonsistente Pressemitteilung in welcher versucht wurde, Werders Unterstützung der Kampagne als Mittel zum höheren Zweck zu stilisieren. Warum es ohne BILD-Patch nicht gelingen hätte gelingen sollen Werders »Verständnis von aktiver Flüchtlingshilfe in den Vordergrund zu rücken« bleibt (auch bei wiederholter Lektüre des Pressemitteilung) schleierhaft. Jede_r halbwegs informierte Beobachter_in kennt das langjährige Engagement des Vereins. Dafür braucht es nicht die Teilnahme an einer wie-gut-auch-immer-gemeinten PR-Kampagne jener Brandstifter, die sich am Wochenende als Feuerwehr verkaufen wollten.

Am vergangen Wochenende mangelte es nicht nur auf dem Platz an Körpersprache und Einsatz. Uns ist durchaus bewusst, dass es ungerecht ist, das peinliche Lavieren in dieser Frage dem Verein als solchem zuzurechnen. Uns ist auch bewusst, dass sowohl einzelne Abteilungen als auch individuelle Personen bis zuletzt nach einer Alternative zur Kumpanei suchten. Die Teilnahme an der Kampagne muss trotzdem als Schlag ins Gesicht von Werders progressiver Fanszene interpretiert werden. Die mangelnde Unterstützung in dieser Angelegenheit ist eine deutliche Botschaft, auch und gerade an die für ihr Engagement sonst gern gelobte Kurve. Thomas Eichins sportliches Urteil zum vergangenen Wochenende gewinnt in dieser Lesart auch eine politische Dimension: »Jetzt wissen wir, wo wir stehen.«

Dialektik

In Anbetracht all dessen ist es am Ende vielleicht hilfreich, dass eine gebrauchte Woche nicht durch die Euphorie eines Heimsiegs oder ein neues Kapitel der Pizarro-Saga überbrückt wurde. Zweifellos gab es selbst in dieser verfahrenen Partie Lichtblicke. Aber unterm Strich bleibt heute bestenfalls Indifferenz.

Glücklicherweise steht eine englische Woche und damit die Hoffnung auf eine (zumindest in sportlicher Hinsicht) angemessene Antwort ins Haus. Gleichzeitig lässt die prekäre Personalsituation (durch die Verletzung Ulisses Garcias, die ungewisse Fitness Zlatko Junuzovićs und nicht zuletzt die hohe zu erwartende Sperre Phillip Bargfredes) mit Sorge auf die Partie gegen Darmstadt am Dienstag blicken. Es steht ein Spiel ins Haus, das in ähnlicher Weise dreckig werden dürfte wie das vergangene. Das Große spiegelt sich im Kleinen und somit klingen zum Beginn der neuen Woche jene Zeilen nach, die am Samstag nach Abpfiff durch das sich leerende Weserstadion schallten: »It’s a bittersweet symphony, this life…«. Alles für Werder.

ALLEZ LES VERTS!

Fotos: Wellenbrecher. Danke!

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