Kommentare 5
/ Autor:

To whom it may concern

Während der letzen Woche erreichte uns eine Menge Zuschriften, die sich grob in zwei Kategorien sortieren lassen: einerseits Zuspruch für die konsequente Entscheidung, nicht mehr Teil des Fußballlärms sein zu wollen; andererseits der Appell, nicht aufzugeben und auch künftig weiter gegen den Wahnsinn anzuschreiben. Das rührt uns zwar, denn damit haben wir nicht gerechnet. Es ändert aber auch nicht grundlegend unsere Entscheidung. Nach der Lektüre der Zuschriften und nach einigen Gesprächen scheint es uns jedoch angebracht, die Beweggründe unserer Entscheidung wenigstens kurz darzulegen.

Zwischen den Stühlen

»So verhängnisvoll wohnt die Bereitschaft zur falschen Projektion dem Geiste ein, daß sie (…) alles zu beherrschen droht, was über diese hinausgeht: die Kultur.«

Horkheimer/Adorno, 1944

Seit acht Jahren veröffentlichen wir auf dieser Seite in unregelmäßigen Abständen Texte zum Fußball und seiner Kultur. Inhaltliche Schwerpunkte waren von Anfang an sowohl der SV Werder Bremen als auch eine im weiteren Sinne ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen des »Modernen Fußballs«. Wir haben uns argumentativ stets mit Genuss zwischen alle Stühle gesetzt, denn keiner von ihnen sagte uns zu. That’s old news – wer unseren Output in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß selbstredend Bescheid.

Im Frühjahr 2020 und im Zuge der Coronavirus-Pandemie spitzt sich die latent zwanghafte Auseinandersetzung um die Professionalisierung des Fußballs noch einmal zu, denn hitzig wird das Für und Wider einer Fortsetzung des Ligabetriebs verhandelt. Schließlich beschließt die DFL wenig überraschend eine Fortsetzung der zwischenzeitlich unterbrochenen Saison unter Ausschluss des Stadionpublikums. Für den steril-surrealen Spuk der Geisterspiele haben wir keine Sympathie. Weniger aber noch für die altbekannt-banalen »Argumente« dieser vermeintlichen Kontroverse: Dubiose Dynamiken, allerlei Machenschaften von Funktionären und nicht zuletzt die Angst vor der Künstlichkeit feiern fröhliche Urständ. Man könnte zwar unlängst Einsicht in die Tatsache gehabt haben, dass das Kapital eine Herrschaft versachlichter Verhältnisse ist. Hat man aber nicht. Im besten Falle noch gibt man sich oberflächlich geläutert und betont, dass die Kritik an den Verhältnissen weder personifiziert werden noch moralisch empört daherkommen dürfe – um anschließend ausgeklügelter zu personifizieren und sich mit reinerem Gewissen als jemals zuvor zu empören. Die Gedanken bleiben stillgestellt, die eigenen tabuisierten Regungen werden auch weiterhin wahnhaft als Übel der (Fußball-)Welt projiziert – am liebsten auf individuelle und kollektive Subjekte: Dietmar Hopp, Funktionäre, Plastikclubs. Man kennt’s, das alles schreiben wir nicht zum ersten Mal. Es ist in unzähligen Texten und Interviews hier und anderswo nachzulesen.

Tristesse ist ein gallisches Dorf

Gelobt und gepriesen sei die Tautologie! Da der rechtschaffene Fan per se rechtschaffen ist, die Verhältnisse damit grundlegend geklärt sind, kann aus halluzinierter Notwehr zum Angriff gerufen werden. Dabei wird der schlichteste Antagonismus kollektiver Subjekte bemüht: der von Profitgier getriebenen Fußball-Bourgeoisie (samt ihres Erfüllungsgehilfen, der Polizei) wird auch im Lichte der gegenwärtigen Covid-19-Krise die Verfolgung »wirtschaftlicher Interessen« bzw. als Kehrseite desselben Arguments die Vernachlässigung »gesellschaftlicher Verantwortung« vorgeworfen. Dagegen steht ein rechtschaffenes, unterdrücktes und stets idealisiertes Fußballproletariat aus »Kritischen Fans«, das sich mit seinen folkloristischen Aktionsformen als moralisch überlegene Opposition zum Fußballfinanzkapital in Szene setzt. Und – als sei diese Verkürzung nicht verrückt genug! – sich die eigene Inszenierung auch noch glaubt. Ticketdenken dieser Form entbindet seit jeher von den Anstrengungen der Reflexion und des Urteils. Auch dies ist hinreichend bekannt.

Es ist auch nur Fußball

»Das wirklich Verrückte liegt erst im Unverrückbaren« – wir könnten nun alles, was gesagt und geschrieben worden ist, zum hundertsten Mal sagen. Wir könnten auf allerlei Text verweisen. Notwendigkeit besteht nach wie vor, das ist offenkundig. Jedoch fehlt uns dazu die Lust. Das hat mehrere Gründe: Entscheidungen und Aussagen, die Verantwortliche des SV Werder im Laufe der letzten Jahre trafen, haben uns befremdet und letztlich auch ein Stück weit entfremdet. Der Versuch, ideologiekritisch auf die Szene aktiver Fußballfans einzuwirken, muss – auch gegen anderslautende Bekundungen – als gescheitert gelten.

Wir werden zukünftig sicherlich von uns hören lassen. In welcher Form, an welchem Ort und mit welcher inhaltlichen Ausrichtung sei hier offen gelassen. Für die Vorstellung einer künftigen kritischen Reflexion des Fußballmilieus fehlt uns dieser Tage aber schlicht die Phantasie.
Und am Ende ist es ja auch nur Fußball…

vert et blanc hambourg, Mai 2020

Alle unsere Beiträge zum »Modernen Fußball« findet Ihr im Text-Archiv.

5 Kommentare

  1. paul

    habe in 8 jahren nicht jeden satz dieses blogs unterschrieben, bin aber von anfang an fan eurer herangehensweise gewesen. auch wenn die es nicht ahnt, aber ihr werdet der fussballwelt fehlen. mad respect.

Schreibe eine Antwort