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Let’s push things forward…

»Critics, ready with your pot shots, the plot thickens«
– The Streets, Let’s push things forward.

Eine kurze Notiz zur Selbstinvisibilisierung des Kunden im Profifußball.

Der organisierte Profifußball ist ein Geschäft.
Ein besonders rentables Geschäft noch dazu. Millionenschwere Transfer- und Ablösesummen,  Deals um TV-Übertragungsrechte in Milliardenhöhe, Clubs als strategische Investitionsprojekte – das Offenkundige lässt sich nicht leugnen: it’s business.
Das ahnt heute jeder und dieser Gemeinplatz wäre nicht der Rede wert. Gäbe es da nicht einen unscharfen Fleck, im Mittelpunkt des Geschäfts mit dem Fußball. Ein zentraler Akteur bleibt bei allem Wehklagen über die Kommerzialisierung des modernen Fußballs eigentümlich unterbelichtet: man selbst. Beziehungsweise die eigene Rolle als Kunde eines Fußballunternehmens.

Das kommt nicht von ungefähr. Die Einsicht in die Warenform des Produkts Profifußball und die damit einhergehende Kundenrolle steht im Widerspruch zur Selbstbeschreibung als Fan. Die unromantische Wahrheit verträgt sich schlecht mit der emotional aufgeladenen Folklore von Verein, Tradition und Region. Mehr noch: Der blinde Fleck, der die Beobachtung des Profifußballs als kommerzielles Produkt überhaupt ermöglicht, verdeckt zugleich die eigene ökonomische Verwicklung darin.
Kunden? Das sind die Anderen.

Nun kann man dem Kunden, der sich nicht für einen solchen hält, seine ökonomische Verwicklung im Zuge kapitalistischer Vergesellschaftung nicht zum Vorwurf machen. Es entbehrt jedoch nicht einer gewissen Ironie, dass der Kunde stetig und scheinbar wahllos auf die Kommerzialisierung schimpft: er verkündet den Untergang des Fußballabendlandes wegen Bandenwerbung, Trikotwerbung, Fernsehübertragungen, »bloß kommerziellen Produkten« wie RB Leipzig. Er wettert gegen untreue »Söldner« (die am Ende des Tages nur Menschen sind, die ihren Arbeitgeber wechseln und der Fan fühlt sich dadurch womöglich persönlich geschmäht). Oder sein Zorn entlädt sich mit Blick auf andere Clubs, die sich am Markt geschickter anstellen als der seine – er fühlt sich abgehängt, aller Passion, Tradition und Wahrhaftigkeit zum Trotze (bei dieser Gelegenheit können flugs noch die Anhänger der erfolgreicheren Clubs als »Eventfans« oder »Erfolgsfans« diffamiert werden – im Fußballjargon der Eigentlichkeit, versteht sich).

DER BESTE KUNDE

Der Fußballfan ist aber nicht nur ein schimpfender Kunde. Er ist ein ganz besonders praktischer Kunde – weil er es den Anbietern sehr leicht macht, ihr Produkt an den Mann oder an die Frau zu bringen, überdurchschnittliche Markentreue inklusive. Die Illusion, es gehe hier um etwas anderes als einen Tauschhandel im Rahmen der Unterhaltungsindustrie, camoufliert das tatsächliche Tauschverhältnis – gerade weil er sich nicht als Kunde wahrnimmt, kann man ihm das gewünschte Produkt besonders leicht verkaufen. Oder anders gesagt: während Unternehmen in anderen Wirtschaftszweigen millionenschwere Werbeetats bereitstellen müssen, um an die Emotion potentieller Kunden zu appellieren, bringen die Kunden des Fußballentertainments ihre Emotionen(1) in vorauseilendem Gehorsam ein: sie definieren sich als Teil eines Clubs, schreien sich in der Kurve die Stimme aus dem Hals, basteln die hübscheste Choreo und weinen im Falle des Abstiegs.
Und gerade weil sie sich aufopfern, weil sie sich bedingungslos hingeben, weil es um Emotionen geht, wird die Selbstbeschreibung als Kunde unmöglich.

Enttäuschung(en)

Bei so vielen Fallstricken sind Enttäuschungen vorprogrammiert: je mehr der Einzelne sich verausgabt, desto klarer tritt zu Tage, dass sich sein Verein um ihn als Person nicht schert. Über die eigene Bezugsgruppe im Stadion hinaus besitzt seine Stimme keine Relevanz. Die hübscheste Choreo wird bestenfalls in special interest-Fanzines honoriert und bei den Tränen des Abstiegs handelt es sich am Ende des Tages um Selbstmitleid.
Wohin mit dem Kummer, dem Frust, der Aggression? Als Projektionsfläche des subjektiven Leids dienen all jene, die dem eigenen Erfolg im Wege stehen: Schiedsrichter, erfolgreichere Vereine. Er stellt die Wettbewerbsgerechtigkeit in Frage und übersieht, dass die großen Clubs nicht nur erfolgreich sind, weil sie weitreichendere Möglichkeiten haben, – sie haben weitreichendere Möglichkeiten, eben weil sie erfolgreich sind. Das Problem muss also größer sein, die Kommerzialisierung per se, – kurz: der moderne Fußball. Früher war alles besser in Kaiserlautern, Bielefeld oder Hamburg. Der gebeutelte Fan, der eigentlich Kunde ist, fühlt sich beraubt. Er spürt, dass sich der kalte Fortschritt nicht aufhalten lässt. Es gibt kein Zurück ins Paradies der einfachen Seelen – ein Paradies übrigens, das immer schon ein phantasiertes war.

»VORMODERNE? – GERNE!«

»Die Kommerzialisierung des Fußballs sorgt bei vielen Anhängern für Frust. Viele kehren ihren Stammvereinen den Rücken und unterstützen stattdessen Amateurmannschaften.«(2)

Hinter der Abkehr vom Profisport steht in der Regel die Hinwendung zur Vergangenheit, zur Einfachheit. Das Phänomen ist ja auch mehr als zeitgeistig: der Ausstieg aus der Moderne, aus der Zivilisation, aus der Komplexität. Oder halt aus dem modernen Fußball. In Gesprächen mit diesen Fußballaussteigern fallen regelmäßig dieselben Phrasen: der Amateurfußball sei »echter«, »ehrlicher«, »authentischer«. Der Sport sei weniger »entfremdet« und es herrsche »größere Nähe«, sowohl zu anderen Fans wie auch zu den Sportlern. Es gebe keine Werbung, keinen Kommerz, keine Klatschpappen.

So what?
Nichts spricht gegen einen Hobbykick mit Freunden in der Wilden Liga oder dem Besuch eines Fußballspiels in der Bezirksklasse – solchen Zeitvertreiben in wenig professionalisierten Spielklassen jedoch eine spezifische Echtheit, Reinheit oder Authentizität zuzusprechen, ist Unfug. Regressiver Unfug sogar: Das Lamento des abgehängten Fans ist eine Absage an den Fortschritt und an dessen zivilisierende Effekte. Sein romantisierender Blick richtet sich zurück, auf eine verklärte Vergangenheit, die es so niemals gegeben hat. Auf ein »natürlicheres« Dasein, auf den »edlen, wilden Fußball« jenseits kommerzieller Interessen. Einmal mehr werden reaktionäre Utopien und Folklore ins Feld geführt, wo tatsächlich die Loslösung von pathologischen Provinzialismen, archaischen Männerbünden und organischer Vergemeinschaftung zu feiern wäre.
Und das im Zweifel sogar mit Klatschpappen.


1 Vgl. hierzu den sehr hörenswerten Vortrag »RB Leipzig – der Untergang des Fußballs?«</em> von Alex Feuerherdt  (gehalten am 19.02.2015 in Braunschweig).
Tweet der @sportschau vom 08.08.2018.

Alle Beiträge zum Thema »moderner Fußball« finden sich in unserem Archiv »Contre le Football pré-moderne«.
Foto: »Bolzplatz« von Ole Meier (cc-Lizenz).

6 Kommentare

  1. Jacques Bonnet

    Schoen, hier mal wieder was von euch zu lesen.
    Guter Text, bei dem ich mich an ein oder zwei Stellen erwischt fuehlte. Was aber eigentlich nur deutlich macht, dass Ideologiekritik noch ordentlich zu tun hat, im Fussball.

    P.S. The Streets!

    • snb

      Allerdings!
      Ist ja auch nur angeschnitten. Wäre schön, mal wieder mehr Zeit für sowas zu haben (mit etwas mehr Zeit hätte ich gerne noch jeweils ’nen Passus zum Fetischcharakter der Ware und zur antikapitalistischen Fortschrittsfeindlichkeit aufgenommen…) – aber naja. Du kennst das ja!

      • Jacques Bonnet

        Gebrauchswert vs. Tauschwert der Ware Fußballentertainment. Ja, haettest du machen koennen.
        Im Rueckblick ist durchaus witzig, dass die wackeren Fussballkulturbewahrer immer vom „Produkt RB“ gesprochen haben.

        • Man müsste sich dann auch mal darüber unterhalten, was denn der Gebrauchswert der Ware Fußball sein soll. Mir reicht ‚Spannung‘, ‚Unterhaltung‘ und ‚Ablenkung‘ vollkommen aus, objektiv kommen da aber sicher noch ein paar andere Aspekte hinzu.

  2. falco

    so findet der nick hornby-lagerfeuer-11freunde-retro-charme zu sich selbst. aus der ferne vielleicht chic und so. weil es im verlinkten sportschaubeitrag erwähnt wird eine kleine anekdote zum hfc falke: ein freund von mir, migrationshintergrund inklusive, ging ein paar mal zu spielen dort und tut das heute nicht mehr. weil sich auf der tribüne nicht nur oldschoolpanini-fußzballhipster tummeln sondern auch die leute, die aus gutem grund in bundesligastadien nicht mehr geduldet werden. vielleicht ne einzelmeinung aber sein fazit war: „da fühle ich mich nicht wohl.“

  3. Pingback: To whom it may concern | vert et blanc

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