Literatur zum »Autorengespräch« mit 120minuten

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»Der Antisemitismus beruht auf falscher Projektion.«
– Theodor W. Adorno

»Now his holiest books have been trampled upon,
No contract he signed was worth what it was written on.«
– Bob Dylan, »Neighborhood Bully«

Kurze, kommentierte Literatursammlung zum Autorengespräch bei 120minuten. Die Grundlage bildet unser dort publizierter Text »Für mehr modernen Fußball! Eine Stilkritik«. Zunächst ein paar einschlägige Texte zum antimodernen Kulturpessimismus und dem (hierzulande noch immer nicht breit rezipierten) Konzept des »strukturellen Antisemitismus«, das in Diskussionen immer wieder für Irritation sorgt. Wer sich eingehender mit der Thematik beschäftigen möchte, sei die Lektüre der angeführten Texte empfohlen. Zum Anderen eine Sammlung von Links zu Artikeln über den Komplex »moderner Fussball«, aus unserem und aus anderen Blogs.
Wir setzen diese Liste übrigens gerne fort. Hinweise auf weitere Artikel nehmen wir via Kommentarspalte oder E-Mail entgegen.

 

1. Antimodernismus, Kulturpessimismus, (struktureller) Antisemitismus und verkürzte Kapitalismuskritik

  • Theodor W. Adorno: Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, Frankfurt/Main 1967:

Der manische Blick des Aug in Aug ist verwandt dem Rassewahn; er will verschworene Gemeinschaft, das Wir sind vom gleichen Schlag; bekräftigt Endogamie. Selbst die Sehnsucht, das Wort Begegnung zu entsühnen und durch strengen Gebrauch wiederherzustellen, würde durch unvermeidliches Einverständnis mit Reinheit und Ursprünglichkeit zum Bestandstück des Jargons, aus dem sie heraus möchte.

  • Redaktion Bahamas: Für Israel – Gegen die palästinensische Konterrevolution!
    in: ISF (Hg.): Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten. Über Israel und die linksdeutsche Ideologie, Freiburg 2002, S 173 – 187:

Stets verlangte es die Empörten nach der Identifikation mit der scheinbar archaischen und ursprünglichen Widerständigkeit eines Kollektivsubjekts, das sich nicht auf die Suche nach Glück begibt, sondern der Wiederherstellung vermeintlich uralter Rechtsverhältnisse verpflichtet ist. […] An die Stelle von Marxens Kritik […] setzen seine […] Nachfolger ein der reaktionären und lebensphilosophischen Kulturkritik ebenbürtiges Lamento über den egoistischen Menschen, der Vereinzelung, Anonymität, Gier und Laster über die Welt gebracht habe. Das bürgerliche Individuum wurde hier schon, gleichsam Heidegger vorausäffend, als Kunstprodukt […] diffamiert, dem der wirkliche Mensch entgegenzusetzen sei. Statt in der Künstlichkeit den Fortschritt zu erkennen, die Ablösung vom Naturzusammenhang zu feiern und die völlige, weil selbstbestimmte Künstlichkeit einzufordern, wurde dem vom Kapitalismus geschaffenen […] Vorschein von Individualität das kollektivistische Ideal einer organischen Gemeinschaft entgegengestellt, in der von jeher alles zum Glück erforderliche ruhe, wenn sie nur zur Ursprünglichkeit zurückfände. Hinter dem versachlichten Menschen sollte der eigentliche Mensch und gute Wilde entdeckt werden.

  • Gerhard Scheit: Struktureller Antisemitismus: Martin Heidegger
    in: Arbeitskreis Kritik des deutschen Antisemitismus (Hg.): Antisemitismus – die deutsche Normalität. Geschichte und Wirkungsweise des Vernichtungswahns, Freiburg 2001, S. 75 – 86:

Heidegger sah von der Personifizierung des Real-Abstrakten, wie es der Antisemitismus besorgte, vollkommen ab; […] anstelle von »Verjudung« und jüdischer Verschwörung spricht er vom Andrang des »Dämonischen« und von der »bodenlosen Organisation des Normalmenschen« in Rußland und Amerika. […] Alle bedrohlichen Aspekte der abstrakten Seite der Warenproduktion, der Verwertung des Werts und der industriellen Massenproduktion, werden zwar nicht personifiziert im Judentum, aber projiziert auf Amerika und Rußland. Heideggers Philosophie gelingt es immer präziser all jene Aufgaben zu erfüllen, die sonst dem Antisemitismus zukommen.

  • Thomas Haury: Der moderne Antisemitismus (Online):

Zentral im Antisemitismus ist erstens die Erklärung der modernen kapitalistischen Weltökonomie. Diese wird nicht als ein sich subjektlos vollziehender Prozess gesehen, sondern als ein von bösen Menschen gezielt durchgesetztes Ausbeutungsprojekt. […] Die Zirkulationssphäre, also Handel, Banken, Börsen, das raffende Kapital gelten als das Grundübel des Kapitalismus. Dagegen verkörperten die Produktion und das Handwerk, die güterproduzierende Industrie, das schaffende Kapital das Positive. Wertschaffende »deutsche Arbeit« steht gegen »jüdische Ausplünderung« und »jüdischen Parasitismus«. […] Für alle Phänomene der modernen Gesellschaft seien die Juden verantwortlich: für die Auflösung traditioneller Autoritäts-, Familien- und Geschlechterbeziehungen, für die radikale Infragestellung von allen althergebrachten Normen, für moderne, abstrakte Kunst, für die Massenkultur, für die Frauenemanzipation, für Verstädterung und Psychoanalyse – an allem waren die Juden schuld. »Die Juden sind unser Unglück« – diese von Treitschke geprägte Parole ist die denkbar prägnanteste Formel des modernen Antisemitismus. […] Deswegen bekommt der Jude Attribute zugeschrieben wie: hohe, verschlagene Intelligenz, perverse Sexualität, einen verweichlichten Körper, Krankheit, Heimat- und Bindungslosigkeit, zersetzende Intellektualität, Künstlichkeit, sagenhafte Macht, Individualismus, Materialismus und kalte Berechnung. Der Jude verkörpert die Macht, die Zwänge und die Zumutungen der modernen Gesellschaft.

  • Thomas Haury: Zur Logik des bundesdeutschen Antizionismus
    in: Léon Poliakov: Vom Antizionismus zum Antisemitismus, S. 125 – 159:

Gesellschaftstheoretisch begriffen werden muss [der moderne Antisemitismus] als eine Ideologie, die die Subjekte einerseits selbst produzieren, um sich die kapitalistische Gesellschaft zu deuten, um ihr Leiden daran zu artikulieren und ihrer ohnmächtigen Wut und ihrem Haß ein zwar falsches, aber konkretes und wehrloses Ziel zu geben. […] Zentral ist die Identifikation »der Juden«  mit dem ebenso notwendig wie folgenschwer verstandenem Kapitalismus. Die eigene Ohnmacht, Abhängigkeit und Nutzlosigkeit wird tagtäglich erfahren am Geld. […] Aber das Geld, das denkbar Abstrakteste, muß doch einem konkreten Besitzer gehören, der die Welt aus dem Hintergrund regiert – und so endet diese »Logik« im Antisemitismus, wenn sie in einem letzten Schritt den Geldbesitzer als »Jude« namhaft und haftbar macht. […] Auch liegt es nahe, die Juden für alle weiteren, mit der kapitalistischen Ökonomie einhergehenden und als vitale Bedrohung empfundenen Umbrüche und Phänomene des modernen Kapitalismus verantwortlich zu machen – für die Auflösung der traditionellen Familien-, Geschlechts-, und Autoritätsbeziehungen, für die Verstädterung und Vereinzelung […].

  • Andrea Woeldike: Kapitalismus und deutscher Wahn
    in: Arbeitskreis Kritik des deutschen Antisemitismus (Hg.): Antisemitismus – die deutsche Normalität. Geschichte und Wirkungsweise des Vernichtungswahns, Freiburg 2001, S. 67 – 74:

Inwieweit die Abstraktion des Kapitals in Gestalt der Juden personifiziert wird, hängt auch von der unterschiedlichen Ausformung der gesellschaftlichen Abstraktheit von Herrschaft ab. […] Die deutschen Arbeiter verkannten […] den Unterschied zwischen dem Wesen und der Erscheinung des Kapitalismus. Sie perhorreszierten das Abstrakte und verstanden – im Gegensatz zu liberalen Denkformen – das Konkrete als das »eigentlich Menschliche« […] Die fetischisierte Wahrnehmung des Konkreten wurde zunehmend biologisiert, wodurch die gesamte Produktion als konkreter schöpferischer Prozeß erschien, dem schließlich auch das industrielle Kapital zugerechnet werden konnte. Der materielle Produktionsprozeß wurde als »organisch verwurzelt« wahrgenommen und in einen Gegensatz zum »parasitären Finanzkapital« gebracht. Der Konkurrenz und der Eigensucht wird »die handwerkliche Produktion echter, gediegener Gebrauchswerte, der ganzheitliche Mensch als Kraftgermane oder dralle Maid – und eine substanzhaft höhere, dynamische Ordnung« gegenübergestellt. In diesem wurde die fetischisierte Kritik gegen das scheinbar Abstrakte, »gegen Geld, Zirkulation und Händlertum als grundloses Schmarotzertum am Naturalleib der Ware, gegen das abstrakt vereinzelte, vom Egoismus umgetriebene Subjekt«, verkörpert im »Juden«, immer radikaler. […] Der Nationalsozialismus ist die äußerste Konsequenz des Antisemitismus. Im vollen Wahn seines fetischisierten Selbstbewußtseins soll der Kapitalismus durch die Vernichtung der Juden aufgehoben werden, ohne jedoch dessen Grundlagen auch nur anzurühren.«

  • Christhard Hoffmann: Das Judentum als Antithese. Zur Tradition eines kulturellen Wertungsmusters
    in: Wolfgang Benz (Hg.): Antisemitismus in Deutschland. Zur Aktualität eines Vorurteils, München 1995, S. 25 – 46:

Diese Argumentationslinie, die sich in der Aufklärungszeit herausbildete, […] wurde […] von […] der sozialistischen Gesellschaftskritik aufgegriffen und verschärft. Marx z.B. identifizierte das Judentum nicht mehr als Religion, sondern sah in ihm den Prototyp des auf »Egoismus«, »Geld« und »Schacher« gegründeten bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaftssystems. […] Besonders wirkungsmächtig wurde die konservative und kulturpessimistische Sehweise, die das »Judentum« mit der Moderne und ihren vermeintlich negativen Erscheinungsformen identifizierte und es als Ursache für die Bedrohung der traditionellen politischen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen […] Werte verstand.[…] Der moderne Antisemitismus […] entstammte in seinen wesentlichen ideologischen Zügen dem konservativ-reaktionären Versuch, den Modernisierungsprozeß aufzuhalten und möglichst rückgängig zu machen.

  • Olaf Kistenmacher: Vom »Judas« zum »Judenkapital«. Antisemitische Denkformen in der Kommunistischen Partei Deutschlands der Weimarer Republik, 1918 – 1993
    in: Matthias Brosch et al. (Hg.): Exklusive Solidarität. Linker Antisemitismus in Deutschland, Berlin 2007, S. 69 – 86: 

Ein »fetischistische[r] Antikapitalismus« wäre entsprechend nur gegen bestimmte Erscheinungsformen der kapitalistischen Moderne gerichtet – das Geld, das Kapital, die Kapitalisten. Jüdinnen und Juden würden von den Nationalsozialisten als Personifikationen all dessen wahrgenommen, was im modernen Kapitalismus als »international«, »verschwörerisch«, »allmächtig«, als »ungeheure und abstrakte Bedrohung« erscheint.

  • Lars Rensmann: Zwischen Kosmopolitanismus und Ressentiment. Zum Problem des sekundären Antisemitismus in der deutschen Linken
    in: Matthias Brosch et al. (s.o.), S. 165 – 189:

[D]er moderne Antisemitismus […] stellt nicht nur einen Vorurteilskomplex dar. Vielmehr ist seine spezifische Qualität, eine umfassende Erklärung der modernen Welt und ihrer komplexen Prozesse bereitzustellen – er fungiert wesentlich als Verschwörungstheorie, die die unterschiedlichsten gesellschaftlichen, politischen und sozialen Phänomene mit dem Wirken in der modernen Gesellschaft von Juden »erklärt« und in Juden personifiziert, […] deren bloße Existenz […] eine antimoderne Welterklärung begründet.

  • hagalil.com (Hg.): Artikel »Antisemitismusforschung« (Online):

Als strukturell antisemitisch werden Ideologien bezeichnet, die sich nicht ausdrücklich gegen Juden richten, aber dem »klassischen« Antisemitismus von ihrer Begrifflichkeit und Argumentationsstruktur her ähneln. Gemeint ist vor allem die aus dem Frühsozialismus stammende Unterscheidung von Finanzkapital und Produktivkapital, wobei Ersteres mit seinen Repräsentanten identifiziert wird. […] Durch diese Personalisierung und Verkürzung einer marxistischen Gesellschaftskritik ähneln Ideologien, die das Finanzkapital und seine Vertreter ablehnen, strukturell dem Antisemitismus und können in Judenhass übergehen oder diesen fördern.

 

2. Moderner Fußball

Übersicht sämtlicher Blogbeiträge im Archiv.
Es folgt eine kommentierte Auswahl von Texten:

Regelmäßig erreichen uns Fragen, ob das denn ernst gemeint sei, unsere Liaison mit dem »Modernen Fußball«. Oder überhaupt ernst gemeint sein könne. Und ob wir das nicht alles »mal kurz erklären« könnten. Und so gerne wir das täten – immer wieder fehlt uns ein einführender Text, der die Eckpunkte unserer Unbequemheit mit der geläufigen Art der Kritik am »Modernen Fußball« aufzeigt. Dass die Herausgeber von »120minuten« mit einer Anfrage nach Texten für ihre neue Seite an uns herantraten, stellt insofern einen willkommenen Anlass dar, verschiedene zuvor in einzelnen Texten veröffentlichte Aspekte der Diskussion in einem einführenden Text zu versammeln.

  • vert et blanc hambourg: They can’t relax with modern football, 2014 (Online):

RB Leipzig bedroht die Phantasie der heilen Fußballscholle. Was setzt Philipp Köster dagegen? Wenig überraschend und inhaltlich unterbestimmt dient ihm »echte Fankultur« als Kitt: »Etwas Grundlegendes« hält diese zusammen, nämlich Passion, Authentizität und Emotion. Die Frage nach dem Wesen der »echten« Fankultur wird zum Kampfbegriff, wenn über einen »kulturellen Konsens« sinniert wird, »für den es sich zu kämpfen lohnt«. Die konkreten Vorschläge bleiben Platzhalter, Leerstellen, Variabeln; stabilisiert wird nur ein normatives Schema von Gut und Böse, vom Richtigen und Falschen. Und genau darin besteht die Gefahr der verkürzten Kritik – in ihrer Anfälligkeit für Ideologie.

  • vert et blanc hambourg: Ultras liberali, 2012 (Online):

Für den Ultrà-Aktivisten gilt analog, was Ludwig von Mises 1927 in seiner Schrift »Liberalismus« dem sogenannten Wirtschaftsromantiker attestierte: »[Sein Blick] schweift ins Mittelalter zurück, nicht in das Mittelalter, das einst gewesen ist, sondern in ein Phantasiegebilde, das es nie gegeben hat. […] Wie glücklich waren da die Menschen ohne moderne Technik und ohne moderne Bildung!«

  • vert et blanc hambourg: Der Fußballjargon der Eigentlichkeit, 2013 (Online):

Wenn es um die Reinheit der eigenen (Fußball-) Kultur geht, wird der Grat zwischen Ideologie- und Idiotiekritik noch einmal ein gutes Stück schmaler. Dabei tritt in der Praxis des Wütens der wahre Kern der modernitätsfeindlichen Weltanschauung überdeutlich hervor: Triebabfuhr wie jüngst in Lyon (wo ein vermummter Nazi-Mob Anhänger des Tottenham Hotspur F.C. attackierte – eines Vereins also, der aufgrund seiner jüdischen Geschichte immer wieder Opfer antisemitischer Ausfälle wird) ist die konsequente Zuspitzung des vulgären Geredes von der Reinheit der eigenen Fankultur.

  • vert et blanc hambourg: Mehr selbstbestimmt Künstlichkeit, 2014 (Online):

Man will hinter den Kapitalismus und seine Freiheiten zurückgehen, anstatt über ihn hinaus. […] Konkret wird dann wahlweise von Kultur, Tradition, Heimat oder allerlei Provinzialismen geredet. Gemeint ist immer: Barbarei. […] Wer in den regressiven Chor »Gegen den modernen Fußball« einstimmt, macht sich mit dieser Barbarei gemein und läuft Gefahr, eine der wichtigsten Errungenschaften (wenn nicht die wichtigste Errungenschaft) der Menschheitsgeschichte aufzugeben: In der Ideologie der Zivilisationsfeinde findet das freie, kosmopolitische Individuum keinen Platz. Und darum verbietet sich jegliche Komplizenschaft mit ihnen.

  • Alex Feuerherdt: Im Visier der Antikapitalisten, 2008 (Online):

Nein, nicht jede Kritik an Dietmar Hopp ist »per se antisemitisch«, aber wie so oft weisen auch die gegen ihn in Anschlag gebrachten »partiell antikapitalistischen Motive« (Lantz) bemerkenswerte Parallelen zum antisemitischen Ressentiment auf.

  • Bonjour Tristesse: Getrennt in den Farben – Vereint in der Sache, 2010 (Online):

Mit anderen Worten: Man wünscht sich das Mittelalter. Genau diese Sehnsucht bringt ein Anti-Red-Bull-Aufkleber zum Ausdruck, der im Umfeld der hallischen Ultragruppe »Saalefront« entstanden ist und massenhaft Halle verklebt wurde. Eine barbarische mittelalterliche Bauernmeute, die mit Heugabeln und anderem Feldgerät ausgestattet ist, hat sich zum Mob zusammengerottet und ist ganz offensichtlich in Pogromlaune.

  • André Anchuelo: Mit Füßen getreten, 2014 (Online):

 Dieser Logik zufolge gibt es das »richtige Fanleben im falschen« also offenbar schon, aber eben nur im Misserfolg. Nicht nur wegen solch wunderlicher Volten wurde Kösters erkennbar populistischer Text kritisiert.

  • Rotebrauseblogger: Fankultur-Zwischenspiel, 2014 (Online):

Spätestens an diesem Punkt, an dem man feststellt, dass nun mal jeder nach seiner Fasson selig werden soll, wird es eigentlich sinnlos über Fankultur zu diskutieren. Denn nichts ist letztlich irrelevanter, als dass einem jemand die Anerkennung für seine Art und Weise, sich dem Fußball oder einem Fußballverein zuzuwenden, versagt.

  • Alex Feuerherdt: »Für den modernen Fußball!«, 2010 (Online): 

 Was die Ressentiments gegen RB Leipzig so widerwärtig macht, ist vor allem der gegen diesen Verein gerichtete Heuschrecken-Vergleich und die dazu gehörige Rhetorik. Damit soll verdeutlicht werden, dass sich hier ein böser ausländischer Konzern aus reiner Profitgier dem Sport zuwendet und so den »bodenständigen«, »ehrlichen« deutschen Fußball bedroht. Man halluziniert also einen hinterhältigen Angriff auf die eigene, »authentische« Fankultur und sieht nun mit dem Eindringen von Red Bull in das letzte gallische Fußballdorf, das wacker den Anforderungen der Moderne trotzt, das Ende nahen.

  • Darren Richman: Why football is too tolerant of anti-Semitism, 2014 (Online): 

Some of the anti-Semitism of recent times has been more subtle. Daniel Levy, the Tottenham chairman, is constantly defined by his ethnicity. Whether he is being praised by fans for his shrewd business dealings or criticised for not splashing the cash, his Jewishness is regularly referenced online. Simply type the words »Daniel Levy« and »Jewish« into the Twitter search bar and you’ll find hundreds of examples of people who think nothing of defining the man as little more than the lazy stereotype of a stingy Jew.

  • Nordtribüne: Gegen den modernen Fußball? Nö, 2012 (Online):

Zudem sollten wir den albernen Begriff des »modernen Fußballs« endlich auf den Müll schmeißen. Modern ist nichts daran und wohin wollt ihr bitteschön zurück? Wenn wir theoretisch über Stammtisch-Niveau (»Früher war alles besser!«) kommen wollen, dann sollten wir als unser Ziel nicht die Vergangenheit vor Augen haben, sondern die Zukunft. Lasst uns neu denken: einen Fußball, der frei ist von all dem Quatsch, der uns Woche für Woche nervt. Ein Fußball, der aber auch frei ist von Diskriminierung. Ich glaube, das hat sich im heutigen Fussball deutlich verbessert. Ein solch neuer Fußball, der mehr Spaß macht, wäre im Prinzip modern, lasst uns also Zaunfahnen aufhängen: Für einen modernen Fußball!

Foto: az / Flickr (cc).

5 Kommentare

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