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Davie Selke und die Empörungsmaschine

tore

»Wenn du deinen Thron auf Söldner gründest, so wird er nie fest noch sicher stehen, denn sie sind zwieträchtig, ehrgeizig, ohne Kriegszucht, treulos, stark gegen die Freunde, feig gegen den Feind, sie haben keine Furcht vor Gott, keine Treue gegen die Menschen.«
– Niccolò Machiavelli

Der folgende Artikel basiert in Teilen auf einem älteren Text aus dem Jahr 2013. Die Geschehnisse rund um den gestern verkündeten Wechsel Davie Selkes zu RB Leipzig haben uns aber so nachhaltig irritiert, dass wir eine Überarbeitung im Lichte der aktuellen Ereignisse für geboten halten: In Kommentarspalten, in sozialen Netzwerken und Foren wütet der Mob – es wird geschimpft, bedroht und gehasst. Klar: Enttäuschung über den Weggang eigener Spieler ist so alt wie das Spiel selbst. Dass der Enttäuschung im Affekt Luft gemacht wird, ist auch nachvollziehbar. Aber Selke, im Handumdrehen zum Talent aus der eigenen Jugend verklärt, wurde und wird in einer Form zur Zielscheibe offen artikuliertem Hasses, die uns bislang nicht untergekommen ist. Sein Friseur wird bedroht. Es wird kolportiert, dass der Verein dem Spieler gestern vorsorglich sogar einen Personenschützer an die Seite gestellt habe. Warum ist das so?

Im konkreten Fall kommen offensichtlich mehrere Faktoren zusammen.
Davie Selke ist für viele (gerade jüngere) Fans eine Identifikationsfigur, ein aufstrebender Stürmer, eine markante Erscheinung. Mithin ein Talent, das sich spätestens seit Gewinn der U19-EM mit einigen Vorschusslorbeeren und immensen Hoffnungen konfrontiert sah. Dass sein neuer Verein ab Sommer just RB Leipzig ist, macht den Selke-Cocktail ein gutes Stück explosiver. Und nicht zuletzt fußt die Empörung auf einem alten Ressentiment gegen als »Söldner« diffamierte, wechselwillige Fußballer. Eben dieses Ressentiment bildet das Grundthema der offen artikulierten und verstörenden Verachtung. Anlass genug, ein wenig genauer hinzuschauen (wir werden am Ende noch einmal auf den konkreten Fall Davie Selkes zurückkommen).

Der Söldner

In regelmäßigen Abständen ist vom »Söldner« die Rede, wenn es Kritikern darum geht, das Wechselverhalten einzelner Spieler (Trainer, Manager etc.) anzuprangern. Häufig werden dabei individuelle Entscheidungen der Sportler in einen Zusammenhang mit dem fortschreiten Verfall des Sports gebracht und auf den leidigen »Modernen Fußball« projiziert. Dass die Idee des Söldnertums ziemlich betagt und keinesfalls »modern« ist, stellt dabei kein Hindernis dar (bereits im Altertum nutzen Herrscher gegen Bezahlung angeheuerte Kombattanten zur Verstärkung ihrer Armeen; die Verwendung des vom mittelhochdeutschen »solt« bzw. »soldenære« abgeleiteten Worts Söldner ist spätestens seit dem 12. Jahrhundert belegt).

Die Kritik am Söldnertum richtet sich gegen einen diffus als »Entwurzelung« empfundenen Bedeutungsverlust regionaler und sozialer Nähe (also Herkunft und/oder Milieu) als maßgebliche Kriterien bei der Rekrutierung von Vereinsfußballern. Im Zuge der fortschreitenden Professionalisierung des Sports rückten solch »ursprüngliche« Kategorien gegenüber relevanteren Faktoren für die Verpflichtung eines Spielers (etwa: taktische Erwägungen, Kosten, Marketinggesichtspunkte, Spielerprofile etc.) zunehmend in den Hintergrund.
Für die Fans eines Vereins – insbesondere dort, wo man sich »traditionalistisch« geriert – werden Vereinswechsel häufig moralisch aufgeladen. Es ist in solchen Fällen regelmäßig von »Illoyalität« oder gar »Verrat« die Rede; und natürlich von der unterstellten »Geldgier« der wechselwilligen Spieler – alles Vorwürfe, die Söldnern im Laufe der Geschichte immer wieder entgegengebracht worden sind: die treulosen Gesellen seien jederzeit bereit, ihre Auftraggeber für eine passende Summe zu verraten und die Seiten zu wechseln. Die grundlegende Illoyalität des Söldners schlägt sich in seiner Käuflichkeit nieder (und es ist wohl kein Zufall, dass dieselben Kritiker an anderer Stelle eine Unterscheidung zwischen »echten Fans« auf der einen und »bloßen Kunden« auf der anderen Seite treffen). Das Gegenteil des Söldners ist übrigens der Soldat, dem das Wechseln der Fronten unmöglich ist ohne als Deserteur oder »Vaterlandsverräter« zu gelten.

Der blinde Fleck dieser Kritik ist allzu häufig die Rolle des eigenen Vereins. Im Falle Werder Bremens hat es immer wieder schmerzvolle Abgänge gegeben – man kann das beklagen, keine Frage! Aber es ist Teil des Spiels, wenn man nicht zu den finanziell stärksten Clubs Europas zählt. Und sich daher mit dem Gedanken anfreunden muss, dass Spieler an der Weser entwickelt und irgendwann mit Gewinn weiterverkauft werden – ein Umstand, auf den die sportliche Leitung unlängst gerade heute noch einmal hinwies und der für langjährige Werderaner nicht überraschend kommen dürfte: »Es gehört zu unserer Philosophie, talentierte Spieler zu entwickeln und weiterzuverkaufen. […] Man muss Talente finden und entwickeln, Viktor macht das hervorragend. Wir sind auf einem guten Weg, wir verstärken unsere Mannschaft und konsolidieren uns« (Quelle).
Sobald man aber einen Schritt zurücktritt und die Perspektive ändert, muss die vergleichsweise finanzstarke Rolle Werders im Vergleich zu kleineren Vereinen in den Blick geraten: Plötzlich erscheinen den lautstarken Kritikern solche Transfers gar nicht mehr so problematisch. Man könnte dennoch mal bei den Anhängern von Arminia Bielefeld oder dem FC Sankt Pauli nachfragen, wie sie die Vereinswechsel von Patrick Owomoyela oder jüngst Fin Bartels wahrgenommen haben…

Umsichtigkeit statt Tunnelblick

»Ich sehe das auch emotional, und es gefällt mir nicht, so einen Spieler zu verlieren. Aber Davie muss sich nichts vorwerfen, so ist das Geschäft. Er wird sich weiter voll für uns reinhängen. Wir brauchen am Samstag gegen Mainz die Unterstützung der Fans.«
– Thomas Eichin

Es ist der Blick auf den Verein und sein erweitertes Umfeld, der die kurzschlüssige Unterscheidung von Freund und Feind bzw. Treue und Verrat mit den nötigen Zwischentönen versehen kann. Dabei gilt es sportliche Perspektiven zu berücksichtigen (für die Mannschaft wie für die individuelle Karriereplanung des Spielers), »weiche« Faktoren wie die Bedeutung der familiären Situation oder der Sprache im Alltag (bei einem Wechsel ins Ausland) und nicht zuletzt (aber eben nicht ausschließlich!) finanzielle Gesichtspunkte, auch in mittel- und langfristiger Hinsicht. Allesamt Aspekte, die sich in der Schwarz/Weiß-Logik der Kommentarspalten nicht wiederfinden (können). 

Wie versprochen also zurück zu Davie Selke.
Ja, der Wechsel für 8 Millionen Euro (plus möglichem Erfolgsbonus) von einem Erst- zu einem Zweitligisten mutet seltsam an. Das notierte gestern auch der RBL-nahe Rotebrauseblogger:

»Es ist natürlich schräg, wenn ein Zweitligist und sechs Jahre alter Verein einem gestandenen Bundesliga-Club wie Werder so viel Geld bietet, dass dieser eigentlich keine Wahl hat und das entsprechende Talent verkauft. Die Relationen stimmen dabei nicht wirklich.« (Quelle)

Komplizierter wird die Angelegenheit, wenn zusätzlich berücksichtigt wird, dass Werder den Spieler offensiv angeboten haben soll:

»Wie nun bestätigt wurde, laufen die Vertragsgespräche schon seit langer Zeit. Seit Anfang des Jahres, wie Werder-Manager Thomas Eichin bestätigte. Kolportiert wird auch, dass Selke auf dem Markt angeboten worden ist, wobei unklar bleibt, ob von Werder-Seite, von den Beratern oder Mittelsmännern.« (Kicker)

Unter Berücksichtigung dieser Informationen verschiebt sich das Bild vom »geldgeilen Judas« (sic!, vgl. »Der Fußballjargon der Eigentlichkeit«) merklich. Der geneigte Beobachter käme so nämlich nicht umhin, Selkes letzte Vertragsverlängerung im September als einen vergleichsweise feinen Zug des Stürmers zu interpretieren. Ein Zug, der dem Verein unter Verzicht auf das (söldnertypische) Handgeld bei ablösefreiem Wechsel nach Saisonende die gestern verkündeten Millioneneinnahmen überhaupt erst ermöglicht hat.
Zugegeben: Solche Zwischentöne eignen sich nur bedingt für die Empörungs- und Hassmaschine Internet, in Anbetracht derer Auswürfe man immer häufiger beschämt zu Boden blickt.
Wir hoffen daran erinnern zu können, dass es wesentlich mehr Faktoren als Gehälter und Ablösesummen sind, die Spielertransfers wahrscheinlich oder unwahrscheinlich machen. Und daran, dass das Reden über die Käuflichkeit der vermeintlichen Söldner unangemessen ist – in vielfacher Hinsicht. Das nächste Transferfenster kommt bestimmt.
Wir hoffen darüber hinaus, dass sich die Vorsichtsmaßnahmen des Vereins als unbegründet erweisen und die Mannschaft am Samstag geschlossen und kräftig vom Publikum unterstützt werden wird. Alles für Werder!

ALLEZ LES VERTS!

 

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Foto: Groundhopping Merseburg (Flickrcc), eigene Bearbeitung.

 

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